Haartracht und Kopfbedeckung

Das ungarische Volk verbindet außerordentlich viele und unterschiedliche Bräuche mit dem Haarwuchs. Das Haar durfte nicht abgeschnitten oder verstümmelt werden, da man darin eine Verletzung der Persönlichkeit sah. Darum zählte das Haarabschneiden zu den ältesten Strafen, und es galt auch im vorigen Jahrhundert noch als eine der schwersten Strafandrohungen. Ein Haar, das man den Liebenden essen läßt, bindet seine Treue, und auch zahlreiche andere Bräuche unterstreichen die Bedeutung, die die Bauern den Haaren beimessen.

Die Haartracht der ungarischen Männer war in der Vergangenheit sehr verschieden. Aufzeichnungen aus dem 18. Jahrhundert berichten noch davon, daß im Gebiet der Kumanen und Palotzen viele Männer geschorene Köpfe hatten mit nur einem Haarschopf in der Mitte. Diese alte Sitte hatte sich sicher während der türkischen Besetzung Ungarns wieder eingebürgert. Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts trugen die Männer schulterlanges Haar. Sie kamen erst davon ab, als man den zum Militär eingezogenen Rekruten die Haare abschnitt und das kurze Haar unter den jugendlichen langsam Mode wurde. Die älteren Männer flochten ihre Haare an beiden Seiten und steckten sie auf. Dem folgte später das bis zum Nacken gestutzte Rundhaar (Topfschnitt), {G-347.} das hinten mit ein oder zwei Kämmen zusammengehalten wurde. Hier und da konnte man diese Haartracht bei den Hirten der Großen Ungarischen Tiefebene noch im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts antreffen.

Abb. 160. Alter Mann mit Zöpfen.

Abb. 160. Alter Mann mit Zöpfen.
Apátipuszta, Kom. Tolna, Ende 19. Jahrhundert

Der Schnurrbart (Schnauzbart) gilt als Zierde des Mannes. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dürfte sich – trotz scharfen Protestes der Behörden – allmählich der spitzgezwirbelte Knebelbart durchgesetzt haben. Den geraden und den hochgedrehten Schnurrbart findet man bis zum Beginn unseres Jahrhunderts allgemein, doch ist er in den letzten Jahrzehnten fast völlig verschwunden, ebenso wie der Kinnbart (Fräse), der nur in einzelnen Gegenden, so zum Beispiel im südlichen Teil von Westungarn, üblich war. Stellenweise trug man ihn nach der Niederschlagung des Freiheitskampfes von 1848/49 den „Kossuth-Bart“ als politische Demonstration.

Abb. 161. Hut der Rinderhirten.

Abb. 161. Hut der Rinderhirten.
a) Hortobágy, Kom. Hajdú. b) Hut mit breiter Krempe, ehem. Kom. Udvarhely, Anfang 20. Jahrhundert

168. Frau beim Zopfflechten

168. Frau beim Zopfflechten
Boldog, Kom. Pest

169. Kopfputz junger Frauen

169. Kopfputz junger Frauen
Kazár, Kom. Nógrád

170. Junge Frau mit Kopfputz

170. Junge Frau mit Kopfputz
Kazár, Kom. Nógrád

171. Kopfputz einer Frau mittleren Alters

171. Kopfputz einer Frau mittleren Alters
Kazár, Kom. Nógrád

172. Kopfputz der alten Frauen

172. Kopfputz der alten Frauen
Kazár, Kom. Nógrád

Die Frauen trugen im gesamten ungarischen Sprachgebiet langes Haar, das sie niemals abschnitten. Die unverheirateten Mädchen nennt man hajadon, was von dem ungarischen Wort haj (Haar) abgeleitet ist und darauf hinweist, daß sie barhäuptig umherliefen. Das Haar der Mädchen wurde früher zu zwei oder drei Zöpfen, später zu einem Zopf geflochten und mit verschiedenfarbigen, eingeflochtenen Bändern geschmückt. Vereinzelt steckten die Mädchen ihr Haar auch in mehreren kleinen Flechten hoch (zum Beispiel in Kalocsa und in Sióagárd). Die Frauen trugen das zusammengedrehte Haar zum Knoten hochgesteckt. Das war das Zeichen für die verheiratete Frau, weshalb {G-350.} als letzte Hochzeitszeremonie der Jungvermählten der Haarknoten hochgesteckt wurde.

Die Kopfbedeckung der Männer bestand einst größtenteils aus Pelz oder Wollfilz. Die Kappe (sapka) oder Pelzmütze (kucsma) war aus Lammfell, meistens schwarz und kegelförmig. Im Winter wird sie noch heute allgemein getragen. Der berühmte Kumanen- oder Turanenhut (kun oder túri süveg) wurde aus Filz gefertigt. Neuere Forschungen haben bewiesen, daß er nicht nur von den Kumanen, sondern in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts noch im ganzen Land getragen wurde. Diese lange, hohe, zylinderförmige Kopfbedeckung ist vielleicht von der alten Soldatenuniform her auf das Volk übergegangen. Die breitkrempigen Filzhüte verbreiteten sich in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. In jener Zeit waren häufig behördliche Verfügungen zu lesen, die das Tragen der breitkrempigen, sogenannten „Räuberhüte der Bauern“ verboten. Langsam kamen Hüte mit schmalerer Krempe auf; sie werden noch heute von den Hirten der Hortobágy getragen. Die breitkrempigen Hüte hielten sich lange Zeit bei den Szeklern und den Csángó (in der Bukowina), ebenso wie sie auch bei den Nachbarvölkern der Ungarn (z. B. den Slowaken) zu finden sind. Mitte des vorigen Jahrhunderts tauchten die ersten billigen Strohhüte auf, die in einzelnen Teilen des ungarischen Sprachgebietes vor allem während der Feldarbeiten im Sommer üblich wurden.

Der ungarische Bauer trägt den Hut ständig auf dem Kopf und nimmt ihn nicht ab, außer beim Essen und in der Kirche oder wenn er einen besonders geachteten fremden Ort betritt. Gewöhnlich zieht er den Hut auch nicht zum Gruß, sondern gibt ihm höchstens mit dem Finger einen kleinen Stoß. Der Hut ist ein so unentbehrliches Zubehör, daß vielerorts sogar dem Toten damit das Gesicht verdeckt wird, so wie sich der Bauer den Hut gewöhnlich über das Gesicht zieht, wenn er sich bei der Feldarbeit im Sommer ein Schläfchen gönnt. Die Burschen und die jungen Männer schmückten ihren Hut seitlich gern mit verschiedenen Vogelfedern. Die Adler- und Kranichfeder gebührte in erster Linie den Adligen, während sich die gemeinen Stände bis zur Befreiung der Leibeigenen mit Hahnen- und Trappenfedern begnügen mußten. Die Hirten der Ungarischen Tiefebene haben das Tragen von federgeschmückten Hüten am längsten beibehalten. Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts steckten sich die Hochzeitsbitter Blumensträuße und Federgras an den Hut, und die zur Musterung aufgerufenen Burschen trugen farbige Bänder am Hut.

Die Mädchen setzten sich Jungfernkränze auf, die sich über der Stirn erhoben, den Kopf aber ansonsten frei ließen. Eine Art Vorform des Jungfernkranzes hat man auch in Gräbern aus der Zeit der ungarischen Landnahme gefunden. Allgemein kamen die Jungfernkränze in Anlehnung an die Kleidung der Adligen zu den Bauern. Sie wurden nur an Feiertagen und zu besonderen Anlässen getragen. Man wertete sie als Symbol für den Mädchenstand, was auch aus der ungarischen Redewendung „pártában maradt“ (sie blieb im Jungfernkranz) hervorgeht (im Deutschen etwa: sie ist nicht unter die Haube gekommen). Die schönsten Jungfernkränze trugen die Mädchen im Sárköz, in Debrecen und in Siebenbürgen vor allem im Kalotaszeg und Torockó.

173. Haartracht und Kopfputz der Frauen aus Kalocsa

173. Haartracht und Kopfputz der Frauen aus Kalocsa
Kalocsa

174. Kopfputz der Braut

174. Kopfputz der Braut
Boldog, Kom. Pest

{G-351.} Dem Haar der Frau wird vom Volksglauben noch mehr Zauberkraft zugesprochen als dem der Mädchen; deshalb mußte die Frau ihren Kopf immer eingebunden tragen. Dazu diente die Haube (fõkötõ), die in den einzelnen Gegenden je nach dem Alter der Trägerin, dem 'Wetter und dem Anlaß in Farbe und Form außerordentlich verschieden war. Mit einer Unterhaube bindet die Frau gewöhnlich das Haar zurück, und bei festlichen Anlässen setzt sie eine schönere, verzierte Haube darüber. Das ist die sogenannte steife Haube, von der es im ungarischen Sprachgebiet verschiedene Varianten gibt. Am meisten verbreitet sind die zylinderförmigen und die flachen, eckigen Hauben. Die Matyófrauen tragen kegelförmige, während in einzelnen Teilen Westungarns flache, viereckige Hauben üblich sind. Vorn sind die Hauben mit Rüschen, Schleifen und Bändern geschmückt. In einzelnen Gegenden trägt die junge Frau bis zur Geburt ihres ersten Kindes eine rote Haube, mit der zunehmenden Zahl ihrer Kinder wechseln die Farben der Haube, bis sie schließlich als Großmutter die schwarze Haube aufsetzt. In den letzten Jahrzehnten sind die Hauben fast völlig verschwunden, und an ihre Stelle traten die Kopftücher, die je nach dem Alter der Trägerin in den Farben immer dunkler werden.