Lieder der Agrarproletarier

Die ärmsten Schichten des ungarischen Dorfes verdingten sich im Sommer in Banden als Schnitter auf Anteil. Oft arbeiteten sie weit weg von ihrem Heimatdorf unter sehr schwierigen Umständen, und dies spiegelt sich in ihren Liedern wider.

Hab ich Weizen viel geschnitten,
Hab auch Mühsal viel erlitten,
Ohne Bett und ohne Kissen
Auf der Erde schlafen müssen.
 
Wär ich lieber nie geboren,
Hätt ich, weiß Gott, nichts verloren.
Immer muß der Arme leiden,
Andrer Leut’ Getreide schneiden.

                           Bodrogköz (Komitat Zemplén)

Der größte Teil dieser Lieder ist im ganzen Land bekannt. Es fällt auf, daß sich unter ihnen verhältnismäßig viele Kunstlieder finden. Da die Anführer der Erntearbeitertrupps meist des Schreibens und Lesens kundig waren, dichteten sie selbst auch Texte zu vorhandenen Melodien. In den Liedern wird weniger die schlechte Verpflegung als die schlechte Behandlung beanstandet. Lieder, die das Ende der Erntearbeit besingen, sind meist fröhlich und scherzhaft gehalten:

Ist die Ernte glücklich rein,
Spendet uns der Bauer Wein,
Bäurin gutes Essen macht.
Schönen Dank und gute Nacht!

                           Gerencsér (ehem. Komitat Nyitra)

Die Erntearbeiten galten zugleich als wichtige Gelegenheit für die Ehewerbung. Viele Ehen sind zwischen Arbeitspaaren bei der Ernte entstanden:

Hab ich mit der Sense auf dem Feld geschafft,
Hat dies Mädchen Schwaden für mich abgerafft.
Als die Ernte glücklich dann zu Ende war,
Wurden wir ein angetrautes Ehepaar.
Gehe ich hinaus zum Ernten auf das Feld,
Dieser Bursche sei für mich zum Paar bestellt.
Wenn die Ernte endlich fertig ist, bis dann
Ist der Bursch mein angetrauter Ehemann.
Koch ich Graupen, er sie brav aufessen muß,
Dafür kriegt er auf den Mund den Liebeskuß.

                           Apátfalva (ehem. Komitat Csanád)