Haus und Hof in West- und Mittelwestungarn

Zu dieser Region gehört der gesamte westliche Teil Westungarns, die Balatongegend und das Bakonygebirge, eine der schönsten Landschaften Ungarns mit sanften Hügeln, niedrigen Bergen und Hängen, dichten Wäldern, mit Getreide-, noch häufiger aber Weinanbau. Klima und Flora des westlichen Raumes stehen unter dem Einfluß der nahen Alpen, die mächtigen Nußbäume und Maronenwälder an anderen Stellen erinnern an die Mittelmeerlandschaft.

Kennzeichnend für diesen Teil Ungarns waren die dicht beieinander liegenden kleinen Dörfer und Kleinstädte, die meistens sogar die lange Türkenherrschaft überstanden, während andere nur für kurze Zeit in türkischem Besitz waren. Spuren der zweigeteilten Siedlungsform mit Wohnhof und Wirtschaftshof hat die Forschung hier bisher nicht ermitteln können. Charakteristisch dagegen sind in einzelnen Gebieten verstreute Häusergruppen entlang der Hügelkämme. Die Felder lagen ursprünglich unmittelbar um das Haus herum. Die meisten Dörfer waren Haufendörfer, wurden aber später größtenteils zu Straßendörfern umgestaltet. Im Nordwestteil sind auch die Straßendörfer eine alte Siedlungsform.

Abb. 52. Grundriß eines umzäunten Hauses.

Abb. 52. Grundriß eines umzäunten Hauses.
Szalafõ, Kom. Vas, 19. Jahrhundert.
1. Scheune; 2. Stall; 3. Kammer; 4. Küche; 5. Zimmer; 6. Misthaufen; 7. Schweinestall

87. Fassadenschmuck eines Wohnhauses, 1825

87. Fassadenschmuck eines Wohnhauses, 1825
Szentbékkálla, Kom. Veszprém

{G-196.} Im Südwesten war Holz das wichtigste Baumaterial; nördlich des Balaton wurde der Holzbau zeitig vom Steinbau verdrängt. Die Häuser hatten meist ein Schaubendach, während in der Balatongegend die Schilfdächer dominierten, die bis in die Gegenwart zu finden sind. Die grundlegende Dachkonstruktion war von der frühesten Zeit an immer das Pfettendach mit Scherenstuhl.

Noch Ende des 18. Jahrhunderts gab es Einraum-Wohnhäuser mit riesiger Grundfläche, so daß sie von einer Großfamilie bewohnt werden konnten. Die Häuser hatten sowohl eine offene Feuerstelle als auch einen mannshohen Ofen. Dieser Haustyp hieß „Rauchhaus“, da er keinerlei Rauchabzug oder Rauchfang hatte; in der Form gleicht er den Häusern der Alpengebiete. Sehr häufig wurde noch eine separate kleine Kammer angebaut, die aber als sogenannter kalter Raum nicht beheizt wurde. Die Stube heizte man zunächst durch den Lehmofen, später, als der Rauchabzug durch den Schornstein gelöst war, durch einen Kachelofen, der von der Stube aus beheizt werden konnte. Diese große {G-197.} Veränderung vollzog sich in kaum anderthalb Jahrhunderten: Aus dem Einraum-Rauchhaus wurde ein Zweiraum-Haus mit Rauchküche. Dieselbe Entwicklung machten nicht nur die Flechtwerkhäuser in Göcsej, bei Veszprém und am Fluß Rábca durch, sondern auch die reichen Steinhäuser mit Laubengang im Balaton-Oberland.

Abb. 53. Grundriß des Hofes von einem umzäunten Haus.

Abb. 53. Grundriß des Hofes von einem umzäunten Haus.
Göcsej, Anfang 20. Jahrhundert.
1. das umzäunte Haus; 2. Brunnen; 3. Platz zum Holzhacken; 4. Kammer; 5. Misthaufen, Latrine; 6. Strohschober; 7. Hafer; 8. Schotterhaufen; 9. Heuschober; 10. Scheune

Aus dem Einraum-Rauchhaus entwickelte sich das für Göcsej charakteristische eingezäunte Haus. Der erste Schritt war, daß an das Zweiraum-Haus noch eine Kammer angebaut wurde. Die Schlafkammer der Jungvermählten stand nicht mehr separat, sondern wurde Bestandteil des Hauses. Allerdings hatte jeder Raum einen eigenen Eingang vom Hof, und es gab keine Verbindungstüren. Rechtwinklig schlossen sich an die Wohnräume die (Schweine- und Hühner-) Ställe an. Außerdem standen noch einige Schuppen, manchmal auch eine Scheune (mit oder ohne Vorratskammer) auf dem Hof. So entstand ein Innenhof von 100 bis 200 m2 Fläche, zur Straße hin durch einen hohen Zaun mit Tor abgegrenzt, das abends immer sorgfältig verschlossen wurde. Größere Wirtschaftsgebäude (Scheune, Maisscheune) standen im allgemeinen nicht auf dem Innenhof, und auch der Brunnen wurde immer außerhalb des Zaunes gegraben.

Der schönste Teil der Göcsejer Häuser ist die geschnitzte und bemalte Giebelwand, über die sich, gleichsam schützend, der Vorderteil des Daches neigt. In die Mitte wird meist ein Kreuzmotiv geschnitten, rechts und links davon, neben den Dachbodenfenstern, schmücken rankende Blumen in einem Topf als Schnitzwerk die Giebelfront. Auch die Ständer, die den Giebel tragen, sind reich geschnitzt. Das Ganze ist weiß, blau und rot bemalt, die freien Felder zwischen den Blumen sind mit bunten Tupfen ausgefüllt. Die gekalkte Wand unter dem Giebel läßt die geschnitzten und gesägten Ornamente noch besser hervortreten.

Abb. 54. Grundriß eines steinernen Hauses mit Laubengang;

Abb. 54. Grundriß eines steinernen Hauses mit Laubengang;
Balatonhenye, Kom. Veszprém, 19. Jahrhundert.
1. Zimmer; 2. Küche; 3. Kammer; 4. Stall

88. Wohnhaus

88. Wohnhaus
Kõvágóõrs, Kom. Veszprém

89. Wohnhaus

89. Wohnhaus
Balatonzamárdi, Kom. Somogy

90. Wohnhaus in Blockbauweise

90. Wohnhaus in Blockbauweise
Ájfalucska, ehem. Kom. Abaúj-Torna, Tschechoslowakei

Das Balaton-Oberland ist das größte zusammenhängende Gebiet des Steinbaus. Die Häuser dieser Gegend haben den gleichen Grundriß wie die bisher beschriebenen. Sie bestehen aus Stube, Küche und Kammer, wobei jeder Raum einen separaten Eingang besitzt. Einen besonderen Reiz verleiht ihnen der recht abwechslungsreich gestaltete, verschiedene Stile der europäischen Baukunst widerspiegelnde Laubengang. Diesem begegnet man zwar auch in anderen Teilen des ungarischen {G-199.} Sprachgebiets – die wichtigste Funktion des Laubenganges war, die Längswand des Hauses mit den Eingängen zu schützen-, doch ist er am Balaton gerade dank den Möglichkeiten, die der Stein als Baustoff bietet, am schönsten und ausgewogensten. Der künstlerische Eindruck wird durch reiche Stuckverzierungen an der Giebelwand zur Straßenseite, die von Renaissance-, Barock- und stellenweise auch klassizistischen Ornamenten inspiriert sind, noch verstärkt.

Von den Wirtschaftsgebäuden waren im ganzen Gebiet die Scheunen (torkospajta) allgemein verbreitet. Sie bestanden je nach Landschaft aus Flechtwerk, Fachwerk oder auch wie die Häuser aus Stein. Für Göcsej und Õrség war der kástu genannte Speicher, meist zu ebener Erde, seltener mit einem Stockwerk, kennzeichnend, in dem Getreide gelagert wurde und der Bauer seine Werkstatt hatte.