Markieren und Hüten der Viehherden

Abb. 112. Kerbhölzer.

Abb. 112. Kerbhölzer.
Große Tiefebene, zweite Hälfte 19. Jahrhundert

Die Tiere wurden meistens mit einem Brenneisen (billyogzó) markiert, das mit den Initialen des Bauern oder mit irgendeinem für eine größere Gemeinde geltenden Zeichen versehen war. Das Eisen wurde erhitzt und das Brandzeichen in den Schenkel eingebrannt. Bei Schafen wurde das Markiereisen mit Farbe beschmiert und so den Tieren in die Wolle eingedrückt. Man markierte die Tiere nicht für den Hirten, der ohnehin jedes einzelne Tier seiner Herde kannte und erkannte, sondern für den Eigentümer des Tieres, den Bauern. Ein Tier wuchs und veränderte sich von Frühling bis Herbst auf der Weide in solchem Maße, daß der Besitzer es nicht wiedererkannte, und nur am Brandmal konnte er es als sein Tier anerkennen. Das Brandmal hatte außerdem den Zweck, den Hirten zu kontrollieren und einen Diebstahl zu erschweren. Tiere mit Brandmal konnten jederzeit identifiziert werden.

Auf primitiver Stufe konnte man das Brandmal mit jedem beliebigen glühend gemachten Eisenstück einbrennen, etwa mit der Schar oder dem Sech des Pfluges ein V oder ein Pluszeichen; bessergestellte Bauern hatten Brandeisen, die vom Vater auf den Sohn übergingen und die man weit und breit kannte und achtete. Mit besonderen Zeichen wurde der gemeinsame Viehbestand eines Dorfes oder einer Stadt versehen.

Abb. 113. Glocken am Riemen für den Puli oder für das Lamm.

Abb. 113. Glocken am Riemen für den Puli oder für das Lamm.
Debrecen, um 1920

{G-284.} Kleinere Tiere wurden nicht mit dem Brandmal gekennzeichnet, sondern durch Verstümmelung – so schnitt man den Schafen eine Kerbe ins Ohr. In der Umgebung von Kecskemét besaßen größere Schafzüchterfamilien ihre besonderen Zeichen, die man allgemein kannte. So hatten die Schafe der Familie Deák im linken Ohr einen pfeilförmigen, die Schafe der Szappanos im rechten Ohr einen schwalbenschwanzförmigen Einschnitt. Ähnlich wurde mit Gänsen und Enten verfahren, denen man die Kennzeichen in die Schwimmhaut einschnitt.

Ein Tier trug seine Markierung, solange es lebte, doch gab es auch provisorische Zeichen. So schnitzten Schäfer verschiedene kleine Holzgegenstände in Form einer Sichel, eines Schlosses, eines Stühlchens oder einer Geige, und zwar immer zwei gleiche Stücke, von denen das eine dem Muttertier, das andere dem Lamm um den Hals gehängt wurde, so daß man die Zusammengehörigkeit beim Säugen der Tiere feststellen konnte. Hatten sich Muttertiere und Lämmer aneinander gewöhnt, entfernten die Hirten die Anhängsel und hoben sie für das nächste Jahr auf.

Der Oberhirte übernahm die ihm im Frühling übergebenen Tiere gegen Kerbstöcke. Hirten, die nicht lesen und schreiben konnten, behalfen sich beim Rechnen und Abrechnen mit Kerben. Sie wußten stets die Zahl der ihnen übergebenen Tiere. Es wurden zumeist die Halb- oder Doppelkerben angewandt. Die Zahl der Tiere wurde mit Kerben in einen Stab eingeritzt, dieser dann der Länge nach gespalten, wobei die eine Hälfte beim Bauern verblieb und die andere der Hirte bekam. Man achtete darauf, daß die Kerben auf beiden Hälften zu sehen waren; wenn man beide Hälften aneinanderhielt, zeigte sich dann sogleich, ob etwa Zeichen geändert worden waren oder nicht. Für Zuwachs hatte der Hirt ein besonderes Kerbzeichen (tõkerovás) und ein anderes für den Abgang (dögrovás). Dieser letztere Ausdruck fand aus dem Wortschatz der Hirten Eingang in eine allgemeine Redewendung: dögrovásra kerülni = auf die Aaskerbe kommen, heißt – für jeden verständlich- soviel wie: zugrunde gehen, verlorengehen.

Abb. 114. Hirten mit Stock und Kumanenmütze.

Abb. 114. Hirten mit Stock und Kumanenmütze.
Karcag, Kom. Szolnok, 1787

Beim Treiben und Zusammenhalten der Herde hat der Hirt als treuen Helfer den Hund. Außerdem aber bedient er sich geeigneter Geräte, um sich die oft sehr schwere Arbeit des Hütens zu erleichtern. Von großer Bedeutung sind die Glocken, die Schellen und Rasseln, die man den Tieren umhängt; auf diese Weise hört der Hirt jederzeit, wo ein Tier umhergeht, und andererseits folgt die Herde dem Leittier nach dem Klang der Glocke, die dieses trägt. Die Kuhglocke wird aus Eisenblech gefaltet und mit Kupfer gelötet. Je mehr Kupfer verwendet wird, um so schöner wird der Ton. Es gab Glocken, die nahezu einen halben Meter groß waren, andererseits auch nur wenige Zentimeter große für die Schafe. Kuhglocken sind charakteristische Erzeugnisse gewisser Landstriche, aber auch einige Zigeunersippen erwiesen sich als Meister der Anfertigung von Glocken. Die Schelle ist eigentlich eine verkleinerte Ausgabe einer Kirchenglocke und wird aus Kupfer mit der Zutat von ein wenig Zinn oder Silber gegossen. Für eine große Glocke mit schönem Klang zahlte man nicht wenig; es kam vor, daß ein Bauer für ein besonders schönes Stück ein Jungvieh hingab. Rinder trugen im {G-285.} allgemeinen Kuhglocken, Ochsen zuweilen auch Schellen; Pferden hängte man nur Schellen um. Die Rassel ist eine kleine Kugel mit einem Einschnitt und einem Eisenkern im Innern, der einen rasselnden, klappernden Ton gibt; eine solche Rassel wird einem Schaf, einem Schwein, unter Umständen einem Hund umgebunden. lm Winter hängt man Rasseln auch den vor den Schlitten gespannten Pferden um, aber nur zusammen mit Schellen und mit diesen genau abgestimmt. Der praktische Zweck ist natürlich, daß der leise gleitende Schlitten schon von weitem wahrgenommen werden soll.

Abb. 115. Kuhglocke mit Riemen.

Abb. 115. Kuhglocke mit Riemen.
Hortobágy Kom. Hajdú, um 1920

Abb. 116. Glocke mit geflochtenem Zierriemen.

Abb. 116. Glocke mit geflochtenem Zierriemen.
Debrecen, um 1920

Unter den Handgeräten des Hirten ist der Stock sein wichtigstes. Sämtliche Hirten, ausgenommen die Pferdehirten, gebrauchen den Stock. Meistens schnitzen sie sich ihre Stöcke selbst, aber es gibt dafür auch besonders gewandte Spezialisten. Am besten eignet sich für einen Stock das Eichenholz oder das Holz von Kornelkirsch-, Pflaumen- oder Birnbäumen. Oft bringt man dem ausgewählten Ast noch am lebenden Baum Einschnitte bei, die dann höckerig vernarben. Ein Stock muß ausreifen, wird auch oft unter den Misthaufen geschoben, damit er eine richtige Farbe bekommt. Den Glanz gibt man ihm durch Einreiben mit Fett. Der Stock diente nicht nur zum Treiben, sondern war auch eine gute Wurfwaffe gegen Wölfe – als es diese noch gab. Wenn der Hirt den Stock zwischen die Beine nimmt, kann er auch darauf sitzen; steckt er ihn in den Boden und hängt seinen Szûr darüber, kann er sich ein wenig Schatten verschaffen, der ihn vor der glühenden Sonne in der baumlosen Pußta schützt. Die westungarischen Schäfer schnitzen Haken an das Ende ihres Stockes. Die in der Theißgegend bringen einen {G-286.} aus Kupfer gegossenen Haken an ihren Stock an (die Urform des Bischofsstabes). Mit einem solchen Schäferstock können sie die Herde treiben, aber auch jedes einzelne Tier festhalten, indem sie mit dem Haken das Tier am Hinterbein packen. Schweinehirten gebrauchten Beile mit einem etwa meterlangen Schaft. Das Beil war eine gute Schutzwaffe; damit schlugen die Schweinehirten aber auch das Ferkel nieder, das sie essen wollten, und schnitten Misteln für die Tiere von den Bäumen.

Abb. 117. Hetzpeitsche.

Abb. 117. Hetzpeitsche.
Hortobágy, Kom. Hajdú, Anfang 20. Jahrhundert

Die Peitsche oder Hetzpeitsche – immer mit kurzem Stiel – ist ein unerläßliches Gerät der Hirten mit Ausnahme der Schafhirten, die keine Peitschen gebrauchen. Die langen Lederriemen, in dünne Streifen geschnitten, werden sechs-, acht- oder zwölfsträhnig um ein Hanfseil geflochten, wiederholt befeuchtet und hübsch rund geformt. Ans Ende kommt ein stärkerer Lederriemen und an dessen Ende wiederum eine aus Pferdehaar geflochtene Schmicke. Die Pferde- und Rinderhirten haben leichtere, die Schweinehirten schwerere Peitschen, weil sie in die Schnur auch noch Draht einflechten und diese nicht mit einem Riemen, sondern mit einem Eisen- oder Kupferring am Stiel befestigen. Mit der Peitsche versetzen sie den Tieren der Herde ab und zu einen Schlag, aber wichtiger ist der gewaltige Knall, den sie mit der Peitsche erzeugen können, der die Herde in die gewünschte Richtung treibt.

Einzeln oder in kleineren Gruppen weidende Tiere bekommen eine Fessel an die Beine, und der Hirt fesselt auch sein ständig gebrauchtes Reitpferd, damit es sich nicht weit entfernen kann. Die einfachste Fessel ist ein aus Pferdehaar oder Hanf geflochtenes Seil, womit man dem Pferd zwei Beine zusammenbindet, unter Umständen das entgegengesetzte Vorder- und Hinterbein von zwei Pferden; so können sie friedlich weiden, aber nicht weit weglaufen. Eine andere Art der Fessel, die Schließkette, besteht aus einem Stück Holz oder auch, wenn vom Schmied gemacht, aus Eisen, das mit einem Schloß zur Sicherheit vor Dieben versehen ist. Diese Art Fessel umschließt eng die Gelenke des Pferdes, und die kurze Kette läßt dem Tier nur wenig Bewegungsfreiheit, da es nur sehr kurze Schritte machen kann. Es gab einen Aberglauben unter den Hirten, wonach die bestkonstruierte Fessel mit Eisenkraut geöffnet werden konnte; darum wurde das Eisenkraut allenthalben schon vom Frühling an gesucht.

Abb. 118. Fesseln.

Abb. 118. Fesseln.
a) aus Hanf; b) aus haarigem Hanf; c) aus Holz; d) ein Ring aus Eisen, der andere aus Holz. Szentes, Kom. Csongrád, zweite Hälfte 19. Jahrhundert

Unruhigen Stieren oder auch Kühen hängte man sogenannte Scheubretter – wohl eine Art Scheuklappen – um, damit das Tier nur geradeaus sehen konnte. Das Schwein bekam einen Ring in den Rüssel, damit es auf dem Hof nicht wühlen und seinen Kober nicht zerstören konnte. Rindern und Büffeln schob man einen Ring zwischen die Nüstern, um die Tiere führen zu können. Hunde bekamen einen Klotz oder einen kurzen Stab um den Hals, um sie am raschen Lauf zu hindern.

Abb. 119. Einfangen von Fohlen mit Fangleine und Strick.

Abb. 119. Einfangen von Fohlen mit Fangleine und Strick.
Hortobágy-Tiszacsege, Kom. Hajdú, um 1930

Am meisten fürchteten die Hirten, daß man die Herde auseinanderjagen könnte. Eine allgemein bekannte Methode, dies zu erreichen, bestand darin, Hutfett und Rinderklauen anzuzünden, wobei der Brandgeruch die Tiere wild machte und die Herde unaufhaltsam auseinanderlief. Dasselbe konnte auch geschehen, wenn die Tiere die Fliegenplage nicht mehr ertragen konnten und sich durch Rennen von den Schmerzen zu befreien suchten. Man weiß von Hirten, welche die {G-287.} Kunst beherrschten, die Herde anderer davonzujagen, ihre eigene aber vor allen Gefahren zu schützen. Derartige Vorstellungen waren vor allem in der Tiefebene verbreitet, sie sind aus der ältesten Schicht der ungarischen Glaubenswelt geschöpft.

Ein Tier aus einer Herde herauszufangen war keine leichte Aufgabe. Die Pferdehirten hatten dazu eine Fangleine, ungarisch: pányva oder árkány. Sie trieben die Herde an den Brunnen, und der Hirt schlich sich in die Nähe des bestimmten Pferdes, schreckte es, und wenn es den Kopf hob, warf er ihm die Schlinge um den Hals. Er hielt die Fangleine so lange fest, bis der andere Hirt dem Pferd das Halfter anlegen konnte. Bei den Rindern der weißen ungarischen Rasse mit den großen Hörnern machte man es anders. Die Hirten befestigten am Ende einer langen Stange eine Schlinge, mit der sie die Hörner des ausgewählten Rindes so tief wie möglich umfingen. Sollte ein wildes Rind gezähmt werden, wand man den ihm umgeworfenen Strick um den Brunnenpfosten; oft mußte aber das wütende Tier mit schweren Stangen auf die Erde hinabgedrückt und solange niedergehalten werden, bis es erschöpft war.