{G-301.} Die Ernährung


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Bisher haben wir uns in großen Zügen mit der Erzeugung und Beschaffung der verschiedenen pflanzlichen und tierischen Rohstoffe, ihrer Lagerung und ihrem Transport an die Orte der Verarbeitung und des Konsums beschäftigt. In überwiegender Mehrzahl wurden sie – wie wir gesehen haben – an Ort und Stelle von den Produzenten selbst verbraucht, nur in einzelnen Gegenden gab es schon früher eine Marktproduktion – so zum Beispiel beim Wein bereits im 16. und 17. Jahrhundert –, aber auch bei Vieh und Fleisch, ferner bei spezifischen Produkten wie Paprika, Tabak, Früchten usw. Auch mit Getreide entwickelte sich ein reger Handel.

In der Ernährung der Bauernschaft spielen althergebrachte Nahrungsmittel und Zubereitungsarten zwar noch eine bedeutende Rolle, doch machen sich heute schon stark moderne Einflüsse geltend. Älteres kam besonders in Dürrezeiten wieder zur Geltung, so in manchen Jahren des vorigen Jahrhunderts, als man nicht nur die Knospen von den Bäumen aß, sondern auch gemahlene Baumrinde in den Brotteig knetete. Die größten Unterschiede zwischen den sozialen Schichten der Bauernschaft zeigten sich in ihrer Ernährung. Bei den ärmeren dominierten die pflanzlichen Nahrungsmittel, während die wohlhabenderen Bauern Fett und Fleisch in unvergleichlich größeren Mengen konsumierten. Die Zubereitung der Speisen wurde nicht zuletzt durch religiöse Vorschriften bestimmt, so daß man innerhalb einer einzelnen Siedlung nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine gesellschaftliche Schichtung genau erkennen kann.

Zweifellos gibt es noch wahrnehmbare Spuren der finnougrischen Erbschaft in der Ernährung – und wenn in nichts anderem, so doch in den Benennungen; so gehören Worte wie fazék = Topf, köles = Hirse, vaj = Butter, kenyér = Brot, fõz = kocht, forr = siedet, süt = brät, eszik = ißt, iszik = trinkt der ältesten Sprachschicht an. (leves) bedeutete bei den urverwandten Völkern vorwiegend Fischsuppe; im Ungarischen wurde es die Bezeichnung für jegliche dünnflüssige Speise, die bis zuletzt zur Grundform der Ernährung der Bauernschaft gehörte. Während der Wanderungen im Osten lernten die Ungarn von den Turkvölkern vielerlei Ausdrücke in Verbindung mit der Milchbereitung. Solche Worte sind: köpû = Butterfaß, író = Molke, sajt = Käse, túró = Quark usw. Auch von den. Slawen übernahmen die Ungarn einige Ausdrücke in Verbindung mit der Ernährung (ecet = Essig, kása = Brei, kalács = Kuchen, kolbász = Wurst, kovász = Sauerteig, laska = Fladen, pecsenye = Braten, pogácsa = salziges Gebäck, szalonna = Speck, tészta = süße Mehlspeise, káposzta = Sauerkraut répa = Rübe, zsír = Fett usw.). Auch deutscher Einfluß ist nachweisbar, meistens indirekt über die herrschaftliche Küche (zum Beispiel cukor = Zucker, früstök = Frühstück, karalábé = Kohlrabi, kuglóf = Napfkuchen [Gugelhupfl, szaft = Saft usw.). Auf ähnlichem Wege sind auch italienische Wörter eingedrungen (palacsinta = Palatschinken, gefüllter Eierkuchen, mazsola = {G-302.} Rosinen, torta = Torte usw.). Nimmt man die lokal gegebenen Rohstoffe und die innere Entwicklung hinzu, gewinnt man den Eindruck, daß die Ernährung der ungarischen Bauern recht vielseitig und kompliziert war.

Bisher ist es der Volkskunde noch nicht gelungen, die Geschichte der ungarischen und innerhalb dieser der bäuerlichen Ernährung in ihrem epochalen Wandel hinlänglich zu klären. Immerhin haben Vorarbeiten die Bewältigung dieser außerordentlich wichtigen Arbeit in Angriff genommen. Einstweilen müssen wir uns jedoch damit zufriedengeben, den bäuerlichen Speisezettel des letzten Jahrhunderts, die bäuerliche Art der Zubereitung und die wichtigsten Arten von Speisen zu schildern.