10. Vier unbekannte Einblattdrucke aus dem XV. Jahrhundert
in der Österreichischen Nationalbibliothek

Gutenberg-Jahrbuch (Mainz) 1958. 84–89.

In der letzten Zeit hatte ich die Möglichkeit, mir die in der Handschriftensammlung der ÖNB aufbewahrten mehr als zwei Dutzend Inkunabeleinblattdrucke anzusehen. Der größere Teil dieser Druckwerke ist in der Fachliteratur schon bekanntgeworden,[1] aber diese Exemplare, bzw. die ÖNB als Fundort wurden noch nicht publiziert. Andere zeigen von den bisherigen Veröffentlichungen[2] eine leichte Abweichung. Weiterhin bewahrt die Bibliothek von zwei Druckwerken vollständigere Exemplare auf, mit deren Hilfe man die bisherigen Beschreibungen[3] ergänzen kann.

Außer den obengenannten befinden sich dort noch Einblattdrucke, die wir in der Fachliteratur nirgends finden. Diesmal möchte ich vier solche Inkunabeln beschreiben, die nicht einmal von dem GW bekanntgegeben wurden.



Abb. 1

1.    Emericus de Kemel: Ablaßbrief (Forma confessionalis) zum Besten des Kampfes gegen die Türken. 1482. [Nürnberg: Drucker der Rochuslegende].          
1 Bl. eins. bedr. 102×219 mm. 21 Z. Type 1: 86 G. Xylogr. Überschriften.

Von Emericus de Kemel kennt der betreffende Band des GW neun Ablaßbriefe, von denen vier bei Peter Schöffer in Mainz,[4] zwei bei Michael Greyff in Reutlingen[5] und drei bei dem Drucker der Rochuslegende in Nürnberg[6] gedruckt wurden. Mit Hilfe der Type kann man mit Sicherheit feststellen,[7] daß unser Ablaßbrief aus der letztgenannten, der Nürnberger Druckerei stammt. Von dieser Offizin kennen wir ziemlich viele – einundzwanzig – Einblattdrucke, von denen elf Ablaßbriefe sind.

Wenn wir die von Emericus de Kemel herausgegebenen und von dem Nürnberger Drucker der Rochuslegende hergestellten drei Ablaßbriefe genauer untersuchen, können wir feststellen, daß der unsere dem GW 9298 am meisten ähnelt. Wir irren wohl kaum, wenn wir daran denken, daß diese beiden (der unsere und GW 9298) zusammen ein drucktechnisches Paar bilden, d. h. beide wurden auf dasselbe Folio-blatt gedruckt, genau wie wir es bei den zwei anderen[8] beobachten können.[9] Hier möchte ich die nicht allzu wesentliche Bemerkung machen, daß ein in Holz geschnittener Text im GW 9298 irrigerweise als Forma absolutionis. beschrieben ist. In den übrigen Ablaßbriefen dieser Typographie[10] steht überall, auch bei uns: Forma absolucionis. Man kann annehmen, daß der Drucker auch in diesem Fall die gleiche Xylographie gebraucht hat und so die Beschreibung des GW einen Lesefehler enthält.

Die ÖNB bewahrt diese Inkunabel unter Signatur: Inc. 1 H 176 auf. Das Exemplar wurde mit dem folgenden Text ausgefüllt: Cristofferus Goldschmid de erbenfelden et Barbara uxor”. Die handschriftliche Datierung lautet, wie folgt: die prima mensis aprilis. Die gedruckte Jahreszahl: 1482 wurde mit Tinte zu 1483 verbessert.

In der ÖNB befindet sich unter der Signatur: Inc. 1 B 40 ein anderer Einblattdruck in Großfolioformat.[11] Dieses auf beiden Seiten bedruckte Papierblatt wurde in zwei Teilen – die sich aber glücklicherweise ergänzen – von den inneren Oberflächen der Deckel eines Wiegendruckes der Bibliothek[12] gelöst. Auf der Rectoseite des Blattes finden wir folgenden Druck:

2.    Almanach für Wien auf das Jahr 1495, lat. [Brünn: Konrad Stahel und Matthias Preinlein].
1 Bl. einseitig bedruckt. 392×260 mm, 54 Z., Z. 6 – 29 in 2, 32 – 54 in 3 Sp. Typen: 1: 133 G; 2: 133 G. Init: c, d, i. Schwarz und Rot gedruckt. Winkelleiste in Form eines I-Buchstaben. 
(Vgl. Abb. 2.)



Abb. 2

Nach seiner drucktechnischen Ausstattung wurde dieser Wandkalender in der Brünner Offizin Stahel & Preinlein hergestellt. Von der ersten Type dieser Druckerei kommen in diesem Almanach nur die Majuskeln P, Q und R vor, alle anderen[13] stammen aus der zweiten Type.[14] Als charakteristisches[15] Zeichen dieser Offizin kann man auch hier die konsequente Majuskelmischung der beiden Typen bemerken.

Auch die Lombarden bestätigen die Brünner Herkunft des Almanachs. Von der Lombardserie c[16] finden wir einen I -Buchstaben, die Lombarden aus der Serie d[17] sind 36mal verwendet. Von den acht Lombarden kommen: A sechsmal, D viermal, F dreimal, I achtmal, M sechsmal, N dreimal, O dreimal und S dreimal vor. Sie sind alle mit den im Missale Strigoniense[18] vorhandenen Lombarden völlig identisch. Der einzige Buchschmuck dieses Kalenders ist der xylographische »I« -Buchstabe, der als Winkelleiste den Kalender dekoriert. Dieser mächtige, verschnörkelte Zierbuchstabe wurde aus zwei rechteckigen Holzstöcken[19] zusammengestellt.

Auf den ersten Blick mag es uns unwahrscheinlich erscheinen, daß ein Almanach für Wien im Jahre 1495 in Brünn gedruckt sei, obwohl Johann Winterburger seit 1492 ununterbrochen in Wien arbeitete; und aus seiner Typographie sind eben in diesen Jahren einige Kalendereinblattdrucke[20] herausgekommen. Dies soll aber nicht bedeuten, daß alle für Österreich oder für Wien bestimmten Drucke in dieser Offizin hergestellt wurden. Es genügt, wenn wir an den Almanach für Österreich auf das Jahr 1496[21] oder an den Almanach für Wien auf das Jahr 1499[22] denken, die in den Nürnberger Druckereien des Kaspar Hochfeder bzw. Ambrosius Huber erschienen. Die Nähe der Stadt Brünn zu Wien macht eine solche Beziehung erklärlich. Auf der anderen Seite dieses Blattes befinden sich die Sätze von zwei Ablaßbriefen, die sich mit ihren oberen Teilen gegeneinander wenden.

Die zwei Einblattdrucke sind die folgenden:

3.    Dominicus de Runcho: Bruderschaftsbrief zum Besten des Hospitals S. Spiritus in Saxia zu Rom. 1492. Formular für Geistliche. [Brünn: Konrad Stahel und Matthias Preinlein.]  
1 Bl. einseitig bedruckt. 94×238 mm, 24 Z., Typen: 1: 133 G, 2: 133 G, 4: 71 G. Init: k. Randleiste.     
(Vgl. Abb. 3.)



Abb. 3

4.    Dominicus de Runcho: Bruderschaftsbrief zum Besten des Hospitals S. Spiritus in Saxia zu Rom. 1492. [Brünn: Konrad Stahel und Matthias Preinlein.]    
1 Bl. einseitig bedruckt. 85×238 mm, 21 Z., Typen: 1: 133 G, 2: 133 G, 4: 71 G. Init: k. Randleiste.     
(Vgl. Abb. 4.)



Abb. 4

Meiner Meinung nach stammen beide Ablaßbriefe ebenfalls aus der Brünner Druckerei des Stahel & Preinlein. Der Almanach für das Jahr 1495 wurde auf Makulaturpapier gedruckt, dessen Versoseite diese Ablaßbriefe vom Jahre 1492 enthält. Es scheint mir ausgeschlossen, daß sich ein Typograph Druckmakulatur zu Druckverwendung aus einer anderen Stadt erwirbt. In Brünn arbeitete aber damals nur diese einzige Druckerei. Meine Meinung über die Herkunft dieser zwei Inkunabeln wird durch die großen Typen, die in diesen Ablaßbriefen verwendet wurden, überzeugend unterstützt. Sie sind nämlich mit den Typen des obengenannten Kalenders völlig identisch. Auch die schon erwähnte charakteristische Mischung der Majuskeln kann man hier ebenfalls beobachten.

Die Analysierung der Texttype verursacht aber manche Schwierigkeiten. Nach Haeblers Typenrepertorium wurde eine solche Type[23] nur im Jahre 1482 von Benedikt Mayr in Passau gebraucht.[24] Wenn wir diese Passauer Type[25] mit der Texttype der Ablaßbriefe vergleichen, können wir feststellen, daß diese beiden – abgesehen von der kleinen Abweichung des einzigen x – vollkommen miteinander übereinstimmen. Der Gebrauch dieser Type in der Brünner Druckerei ist im Typenrepertorium und in der übrigen Fachliteratur ganz unbekannt. Wenn wir aber das Leben Konrad Stahels genauer untersuchen, können wir feststellen, daß er im Jahre 1482 in Passau der Sozius Benedikt Mayrs war. Mayr hatte im gleichen Jahr auch einen anderen Compagnon, und zwar Johann Alakraw, der im Jahre 1484 in Winterberg (Böhmen) mit einer anderen Type der Druckerei Mayrs arbeitete. So wollen wir uns nicht wundern, wenn wir auch bei Stahel eine Type dieser Passauer Offizin finden. In der Beschreibung bezeichnete ich sie mit Nr. 4. Ähnlicherweise ist auch der xylographische Buchschmuck dieser zwei Einblattdrucke der Brünner Typographie unbekannt. Die zwei D-Initialen[26] stammen bestimmt aus derselben Serie, oder mindestens wurden sie von gleicher Hand gestochen. Zur Bezeichnung dieser Initialenserie habe ich den Buchstaben k verwendet, der in dem Typenrepertorium noch nicht in Anspruch genommen war. Die gotischen Laubwerke, die den Blattrand zieren, haben eine Größe von 8½×2 cm. Die zwei Randleisten sind wahrscheinlich aus je 2 kleineren Holzschnitten zusammengestellt, und zwar so, daß diese die Fortsetzung der waagerechten Linien der Initialen bilden.

Der Hospitalorden vom Heiligen Geist übte mit den Ablaßbriefen eine ziemlich ausgedehnte Tätigkeit aus.[27] Zahlreiche, noch vorhandene, gedruckte Dokumente bestätigen das.[28] Diese wurden in Offizinen der Städte fast ganz Europas – von Löwen bis Bologna und von Valladolid bis Lübeck – hergestellt. Der Bruderschaftsbrief zum Besten des Hospitals S. Spiritus in Saxia zu Rom[29] von Antonius Sebastiani de Casulis ist unseren Ablaßbriefen textlich am meisten ähnlich. Auch von Dominicus de Runcho kennen wir eine solche Inkunabel, die in Leipzig von Gregor Bötticher gedruckt wurde.[30] Die zwei jetzt veröffentlichten Ablaßbriefe weichen voneinander ein wenig ab, weil der unter Nr. 3 publizierte auch noch ein Formular für Geistliche hat.


Négy ismeretlen, egyleveles ősnyomtatvány  az osztrák nemzeti könyvtárban

Az osztrák nemzeti könyvtár ősnyomtatvány-gyűjteményében több mint két tucat egyleveles kiadványt őriznek, amelyek többségéről természetesen tudott a szakirodalomban. A cikkben négy olyan leírása olvasható, amely korábbról nem volt ismeretes. Az egyik búcsúlevelet a „Rochus legenda nyomdásza” állította elő Nürnbergben, míg a másik három a brünni Stahel & Preinlen műhelyben készült. Az utóbbiak közül az egyik Bécs számára kiszámított érvágó naptár az 1495. évre, míg a másik kettő 1492-ben megjelentetett búcsúlevél.



[1] Einblattdrucke des XV. Jahrhunderts. Halle/Saale 1914. 94, 240 [2 Ex.], 826, 1057, 1147, 1162, 1290, 1567.

[2] Einblattdrucke des XV. Jahrhunderts. Halle/Saale 1914. 170 [2 Ex.], 1182.

[3] GW 1333, 1346.

[4] GW 9292–95.

[5] GW 9296–97.

[6] GW 9298–9300.

[7] Veröffentlichungen der Gesellschaft für Typenkunde des XV. Jahrhunderts. Taf. 1–2460. Leipzig 1907–1939. 262.

[8] GW 9299, 9300.

[9] GW 9299 Anm. 2.

[10] GW Nr. 36–40, 9299, 9300.

[11] 403×264 mm.

[12] Joannes Gallensis: Summa collationum. Ulm: Johann Zainer. 1481 = H 7443 – Wien, Österreichische Nationalbibliothek: Inc. 1 E 14.

[13] 13 Groß- und 52 Kleinbuchstaben bzw. Zeichen

[14] Veröffentlichungen der Gesellschaft für Typenkunde des XV. Jahrhunderts. Taf. 1–2460. Leipzig 1907–1939. 1077, 1078

[15] H 15 517.

[16] Haebler, Konrad: Typenrepertorium der Wiegendrucke. I–V. Halle/Saale 1905–1924. I. 26 = 12 mm mit Perlen.

[17] Haebler, Konrad: Typenrepertorium der Wiegendrucke. I–V. Halle/Saale 1905–1924. I. 26 = 6 mm ohne Perlen.

[18] 21. XI. 1491. Brünn: Stahel & Preinlein = H 11 431.

[19] 21×41 bzw. 4×18 cm.

[20] H 11 173. – GW 1485, 1529, 1530, 1537, 1537/20.

[21] GW 1511.

[22] GW 1543.

[23] M21 und 71 mm.

[24] Haebler, Konrad: Typenrepertorium der Wiegendrucke. I–V. Halle/Saale 1905–1924. V. 51.

[25] Veröffentlichungen der Gesellschaft für Typenkunde des XV. Jahrhunderts. Taf. 1–2460. Leipzig 1907–1939. 1228.

[26] 18×18 mm.

[27] Paulus, Nikolaus: Geschichte des Ablasses am Ausgange des Mittelalters Paderborn 1923. 238–247.

[28] Einblattdrucke des XV. Jahrhunderts. Halle/Saale 1914. 88, 104, 477a, 517, 584, 722, 723, 1202, 1285, 1286, 1390.

[29] GW 6179.

[30] GW 8641.




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