18. Zwei unbekannte Wiegendrucke in der Franziskanerbibliothek von Güssing

Beiträge zur Geschichte des Buches und seiner Funktion in der Gesellschaft.
Festschrift für Hans Widmann zum 65. Geburtstag. Stuttgart 1974. 28–33.

Im September 1972 hatte ich Gelegenheit, die wertvolle Bibliothek des Franziskaner­klosters in Güssing (Burgenland in Österreich) eingehend zu studieren. Aus ungarischer Sicht ist die Sammlung besonders interessant, weil sie bis Mitte des 17. Jahrhunderts der Magnatenfamilie Batthyány gehörte.[1] Meine dortigen Forschungen nach alten ungar­ländischen Drucken wurden durch die außerordentlich genaue und fachgemäße Be­arbeitung des Bestandes sehr erleichtert. Die enorm anspruchsvolle Katalogisierung hat P. Theodor Tabernigg durchgeführt, der mir in meinen Unter­suchungen auch seither eine sehr wertvolle Hilfe leistet.[2]

Die Güssinger Bibliothek der Franziskaner enthält – abgesehen von dem besonders wertvollen Bestand des 16. Jahrhunderts – insgesamt 212 Inkunabeln. Es bleibt zu hoffen, daß P. Theodor Tabernigg seine Pläne bezüglich der Veröffentlichung des Inkunabeln­ka­ta­logs bald verwirklicht und dadurch wenigstens dieser Teil der Sammlung allgemein be­kannt wird. Hier möchte ich von diesen Wiegendrucken nur zwei etwas genauer be­schreiben, weil sie bibliographisch bisher nicht erschlossen wurden.

* * *

Unter der Signatur 2/113 ist in Güssing ein Band in Quartformat aufbewahrt. Der braune, gestempelte Halbledereinband auf Holz stammt aus dem Ende des 15. Jahrhunderts und ist etwas beschädigt. In dem Band sind zwei Druckwerke zu finden, und zwar der erste und der zweite Teil des damals äußerst verbreiteten und als Schulbuch oft gebrauchten „Doctrinale” von Alexander de Villa Dei mit Kommentar. Unglücklicherweise fehlen in beiden Teilen mehrere, zur Identifizierung, bzw. zur Beschreibung wichtige Blätter. Doch das Kolophon des ersten Teiles ist erhalten geblieben, so daß die eindeutige bib­lio­graphische Identifizierung keine Schwierigkeiten bereitet. Es handelt sich um den Teil I des „Doctrinale” mit Kommentar „Glossa notabilis” von Gerardus Zutphensis, der im Jahre 1492 bei Johann Otmar in Reutlingen gedruckt wurde. Es ist interessant, daß zwei mit­einander fast identische Ausgaben von diesem Werk bekannt sind.[3] Aufgrund des im Ko­lophon erwähnten Namens von Johann Otmar kann man entscheiden, daß es sich in Güssing um die vom „Gesamtkatalog der Wiegendrucke” (GW) unter Nr. 1062a be­schriebene Ausgabe handelt: hier kommt der Name des Druckers nämlich in Form von „Otmar” vor, dagegen ist die falsche Form „Omar” in der anderen Ausgabe zu lesen. Diese Ausgabe des ersten Teiles des „Doctrinale” ist recht selten: der GW kennt unter Nr. 1062a davon nur ein Exemplar. In Güssing ist dieses Werk, wie schon erwähnt, nur unvollständig erhalten geblieben: es fehlen von den 144 Blättern insgesamt 34.[4] Das erste, vorhandene Blatt ist e2, auf dem auch ein handgeschriebener Hinweis auf die Provenienz zu finden ist: „Conventus Nemetujvariensis 1661”.[5] Das letzte fehlende Blatt war leer.

Bei dem Vergleich dieses ersten Teiles mit der Beschreibung im GW kann man feststellen, daß sich dort (im GW) zwei kleine Fehler eingeschlichen haben. Bei Blatt 143, 12. Zeile, fehlt das Zeichen des Zeilenschlusses zwischen „vt” und „ibi”. Auch in der 25. Zeile sollte das Zeichen des Zeilenschlusses nicht nach dem Wort „feliciter”, sondern vor ihm stehen.

Diesem seltenen Wiegendruck folgt im genannten Güssinger Band ein anderer, und zwar der zweite Teil desselben Werkes von Alexander de Villa Dei mit einer Glosse des gleich­en Kommentators. Von den 130 Blättern des Originals fehlen insgesamt acht,[6] dabei leider teilweise eben die wichtigsten: das Titelblatt, das erste Blatt der Lage „b” und das Kolophon. Die typographische Ausstattung des Druckes ist in allen Einzelheiten mit der des ersten Teiles identisch. So besteht kein Zweifel darüber, daß auch dieser Druck von Johann Otmar hergestellt wurde. Aber im GW befinden sich keine weiteren Otmarischen Ausgaben des „Doctrinale” außer den oben schon erwähnten beiden Ausgaben des ersten Teiles. Auch den heutigen Herausgebern des Gesamtkatalogs ist der zweite Teil aus der Offizin von Otmar – laut Brief vom 9. November 1972 – unbekannt. So scheint es an­ge­bracht, die Beschreibung dieses bis heute unbekannten Wiegendruckes hier – soweit es die vorhandenen Lücken erlauben – zu veröffentlichen.

Alexander de Villa Dei: Doctrinale. P. 2. Mit Kommentar (Glossa notabilis) von Gerardus Zutphensis. [Reutlingen: Johann Otmar, um 1492) 4°.           
130 Bl. a–g8h6ik8l6m8n6o–r8. 40 Z. Typ. 7: 170G, 8: 75G, 9: 93G. [Rubr.
a,b. 2 Holzschnitte ?] KolTit. Marg.      
Tit. fehlt. Bl. 2a m. Sign. a ij: [6] Utin et mel comedet || puer. vt fciat reprobare malu z eligere bonu Jfaie || feptimo. … Bl. 5 (a5)a: [11] Jc iubet ordo || libri vocum regimen || referari || Darüber Glosse in 2 Z.: in ho octa || uo capL'o ||. i. erigit || vel vult || f. pmiffus in || phetmio || doct'nalis || alerabri ||. i. bconu vl’ || sftructibiliu ||. i. eractone || l’ coartato || einfach:. l. [!] manifestari || Kommentar: Jstud est octauu capitulu hui9 li-||bri doctrinalis et fcd’a ps pncipal' || in q siue in qua autor determinat || de altera parte… Sign. b fehlt. Endet Bl. 128(r6)a Z. 22: … nil petit adiungi[!] || plurali numero. similes sunt quos ego cerno || Darüber Glosse: in plurali. i. eqles sp illi. i. video || Kommentar bricht ab B1. 128 (r6)b Z. j9: … ita se h3 ignoras || logica z scies aliqd in gca. pat3 qz sic stult9 loqtur z nes'cit sui, dicti ||         
Güssing Franzisk. (unvollst.)

Die Existenz der in eckige Klammern gesetzten Angaben ist nur auf Grund des ersten Teiles mit identischer typographischer Ausführung anzunehmen. Beide Rubrikzeichen kommen dort nur einmal, und zwar im Kolophon vor. Die Holzschnitte erscheinen nur auf dem Titelblatt. Beide Blätter fehlen leider im Güssinger Unicum.

Mit Hilfe der ausführlichen Beschreibung des GW ist auch die Vorlage der Otmarschen Ausgaben festzustellen. Interessanterweise stammt sie nicht aus der Offizin des anderen Reutlinger Druckers, Michael Greyff, der auch viele Ausgaben des Werkes von Alexander de Villa Dei hergestellt hat, sondern aus der Werkstatt des Martin Flach in Straßburg. Flach hat alle vier Teile des „Doctrinale” in der kurzen Zeit zwischen 1488 und 1493 nicht weniger als fünfmal gedruckt.[7] Zwei Ausgaben der beiden Teile sind als Muster für die Otmarsche Ausgabe zu identifizieren: für Teil I. GW 1055 und 1067, für Teil 2. GW 1089 und 1096. Davon gehören zwei zu derselben Serie: Teil I. (GW 1055) vom 19. Juli 1490 und Teil 2. (GW 1096) vom 12. November 1491. Otmar hat beide Teile seitengetreu, teilweise sogar zeilengetreu nachgedruckt. Dabei war Otmar so „treu”, daß er auch die Abarten des Textes übernommen hat. So endet z. B. die vorletzte Zeile des Grundtextes normalerweise[8] mit dem Wort „addi”. Dagegen kommt dieses Wort in den erwähnten beiden Flachausgaben des zweiten Teiles (GW 1089 und 1096) als „adiûgi”, bzw. „adiungi” vor. Otmar hat auch „adiungi” gesetzt; es ist deshalb anzunehmen, daß die Ausgabe vom 12. November 1491 (GW 1096) ihm dabei als Muster diente. So ist es auch höchst­wahr­scheinlich, daß Otmar nicht nur den ersten, sondern auch den zweiten, den hier zum ersten Mal beschriebenen Teil, in Reutlingen im Jahre 1492 hergestellt hat.

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Im selben Güssinger Band, in welchem sich die zwei oben ausführlich behandelten Ausgaben von Alexander de Villa Dei befinden, ist noch ein weiterer, etwas versteckter, immerhin aber vorhandener Wiegendruck zu finden. Es handelt sich um ein Perga­ment­exemplar eines Einblattdruckes, das in den Rücken des Bandes eingeheftet wurde. Das Druckwerk wurde in zwei Hälften (Streifen) zerschnitten: der obere Teil wurde nach dem ersten, der untere vor den zweiten Deckel eingefügt. Die so erhalten gebliebenen zwei Teile ergänzen sich leider nicht: nur die ersten und letzten drei Zeilen sind – teilweise auch sie stark beschädigt – erhalten geblieben. Doch auch diese wenigen Zeilen genügen, den Druck zu identifizieren. So ist festzustellen, daß es sich um einen Ablaßbrief zum Besten des Dominikanerordens handelt, der im Namen von Jakob von Stubach herausgegeben wurde. In unserem Falle handelt es sich um ein gedrucktes Formular, das am 10. August 1484 in Ulm handschriftlich ausgestellt wurde.

Die einzige Buchstabentype, mit welcher der Einblattdruck hergestellt wurde, ist ziemlich eigenartig. Mit Hilfe des Haeblerschen Typenrepertoriums war ihre Identifizierung keine schwere Aufgabe: es handelt sich um die Type 2 von Konrad Dinckmut,[9] die in den Jahren zwischen 1484–1488, bzw. 1492–1493 in Ulm gebraucht wurde,[10] und im 15. Jahrhundert bei keinem anderen Drucker vorkommt.[11] Die handschriftliche Ulmer Ausstellung des Formulars aus dem Jahre 1484 steht mit dieser Bestimmung in vollem Einklang.

Zur Rekonstruktion des Einblattdruckes erteilt uns eine andere gedruckte Ausgabe dieses Ablaßbriefes eine große Hilfe. Ein Exemplar davon wurde in der Stadt- und Univer­sitäts­bibliothek Frankfurt am Main[12] aufbewahrt und in der Publikation „Die Einblattdrucke des XV. Jahrhunderts”[13] schon früher veröffentlicht. Man kann feststellen, daß der Teil beider Ausgaben identisch ist, obwohl das Frankfurter Exemplar in Mainz von Peter Schöffer gedruckt wurde und das Datum des Originalbriefes trägt, der von Jakob von Stubach am 15. Juli 1481 in Mainz herausgegeben wurde. Der Platz für den Ort und Zeitpunkt blieb dagegen in dem Ulmer Druckwerk für die spätere handschriftliche Eintragung frei.

Mit Hilfe des in Frankfurt aufbewahrten Textes kann man auch die Zahl der Zeilen und manche problematischen Textstellen rekonstruieren. Die Beschreibung des Güssinger Einblattdruckes, der auch den Herausgebern des Gesamtkatalogs der Wiegendrucke – laut Brief vom 9. November 1972 unbekannt war, lautet wie folgt:

Stubach, Jakob von: Ablaßbrief zum Besten des Dominikanerordens. [Ulm: Konrad Dinckmut, vor 10. VIII. 1484]       
1 Bl. eins. bedr. [66]×163 mm. [12] Z. Typ. 2: 110 G.
Z. 1 Devot[…] dilect. || Frater Jacobus de Stubach. sacre pagine professor prouincie Theutonie ordinis || Pedicatoru Salute Endet Z. 10: res dicte prouincie fieri concesserit benignitas saluatoris. concedo participationem || tam in vita qua post mortem. Datu in Die sanct || Anno domini Millesimoquadringentesimooctuagesimo sub sigillo officii mei ||      
Güssing Franzisk. (Fragm., Pergament, hsl. (=hsl.) Ulm 10. August 1484)

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Zur vollständigen Beschreibung des Bandes 2/113 in Güssing gehört noch der Hinweis auf einen Holzschnitt, der auf die innere Seite der ersten Einbanddecke aufgeklebt ist. Das im spätgotischen Stil gehaltene Bild stellt die heilige Barbara dar. Vor einem Teppich mit Akanthusblättermuster auf schwarzem Grund steht etwas nach links gewendet die Heilige mit langem Haar, einer Krone mit sechs höheren und fünf niedrigeren Zinken, mit leicht geneigtem Haupt und in einen weiten Mantel gehüllt, der links auf dem Boden schleift. Eine große Brosche hält den Mantel am Hals zusammen. Mit der rechten Hand rafft sie ihren Mantel und hält ein offenes Buch. In der linken Hand hält sie einen Palmzweig. Sie lehnt sich auf das spitze Dach des kapellenartigen Vorbaus eines unten vier- und oben sechseckigen Turmes. In diesem Vorbau befindet sich ein Kelch, über dem eine Hostie schwebt. Das Bild ist mit keinem der von Schreiber beschriebenen Holzschnitte identifizierbar.[14]


Két ismeretlen õsnyomtatvány a németújvári ferencesek könyvtárában

A mai Burgenlandban fekvõ Németújvár ferences kolostorát a Batthyányiak saját családi könyvtáruk odaadományozásával alapították a 17. század elsõ felében. Elsõsorban ennek tudható be ennek a magyarországi könyvtörténet szempontjából kimagaslóan fontos gyûjteménynek gazdagsága, amelyben – többek között – több mint kétszáz õsnyomtatvány található. Ezek közül két, a szakirodalomben eddig ismeretlent ír le a cikk. Az egyik Alexander de Villa Dei igen elterjedt tankönyvének 1492 táján Johann Otmar reutlingeni mûhelyében készült kiadása. A másikat kettévágva az elõbbit õrzõ kötet elejére és végére kötötték szennylevélként. Ennek a hártyára nyomtatott búcsúlevélnek így csak az elsõ és az utolsó három sora maradt fenn. Mégis sikerült tisztázni, hogy ezt a kitöltetlenül maradt ûrlapot Jakob von Stubach bocsátotta ki a domonkosrend érdekében, és azt Konrad Dinckmut ulmi mûhelye készítette 1484 dereka elõtt.


[1] Tabernigg, Theodor: Die Bibliothek des Franziskanerklosters in Güssing. In: Biblos 21. (1972) 167–175.

[2] P. Theodor Tabernigg hat mich ermächtigt, die unbekannten Wiegendrucke der Güssinger Sammlung zu veröffentlichen. Dafür möchte ich ihm meinen besonderen Dank auch hier und wiederholt zum Ausdruck bringen.

[3] GW 1062, 1062a.

[4] a8, b8, c8, d8, e1 und v8.

[5] Güssing heiß ungarisch: Németújvár.

[6] a1, b1, h1, o1, r1,2,7,8

[7] 1: GW 1010. – 2: GW 1013. – 3: GW 1051, 1089, 1109. – 4: GW 1055, 1096, 1192. – 5: GW 1067, 1103a, 1195.

[8] So im GW 1086, 1087, 1094, 1103, 1122/II, 1128/II.

[9] Haebler, Konrad: Typenrepertorium der Wiegendrucke. I–V. Halle/Saale 1905–1924. I. 108.

[10] Catalogue of books printed in the XVth century now in the British Museum (BMC). II. London 1912. 532.

[11] Veröffentlichungen der Gesellschaft für Typenkunde des XV. Jahrhunderts. Taf. 1–2460. Leipzig 1907–1939. 85.

[12] Ohly, Kurt – Sack, Vera: Inkunabelkatalog der Stadt- und Universitätsbibliothek und anderer öffentlicher Sammlungen in Frankfurt am Main. Frankfurt a. M. 1967. Nr. 1557. – Signatur: Aust. 322.

[13] Einblattdrucke des XV. Jahrhunderts. Halle/Saale 1914. 708.

[14] Schreiber, Wilhelm Ludwig: Handbuch der Holz- und Metallschnitte des XV. Jahrhunderts. I–VIII. Leipzig 1926–1930. III. Nr. 1249–1252.




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