23. Eine unbekannte Ablassbrief-Inkunabel von 1494

Gutenberg-Jahrbuch (Mainz) 1994. 93–94.

Im Archiv der kroatischen Akademie in Zagreb (Agram) sind Tausende von Urkunden aus dem Mittelalter aufbewahrt. Sie wurden mit einer kurzen Inhaltsangabe und den wichtigsten Angaben von Jakov Štipšić und Miljen Šamšalović veröffentlicht.[1] Hier ist unter Nr. 3275 zu lesen: „D-XVIII-70 Venetiis 5. IX. 1494. Frater Ioachinus Turrianus Venetus, ordinis praedicatorum generalis magister, Andreae Both de Bayna eiusque propinquis pro benevolentia erga ordinem grates agit et ad omnia beneficia et suffragia ordinis recepit. Or. P.”[2]


Im Ungarischen Staatsarchiv ist davon eine Fotokopie[3] vorhanden, so konnte ich erkennen, daß es sich um einen auf Pergament gedruckten Ablaßbrief handelt (siehe Abbildung). Der Druckspiegel macht 100 ´ 228 mm aus, der Text besteht aus 15 Zeilen, denen eine Einführung von sechs Worten mit einer größeren Auszeichnungs­type vorangesetzt ist. Zwischen diesen zwei Teilen wurden etwa zwei Zeilen zur Ausfüllung des Formulars mit Namen freigelassen. Der Vordruck verspricht im Namen des Generalmagisters (Ordensgenerals) des Dominikanerordens, daß die Begünstigten dieses Briefes wegen ihrer Unterstützung an allen Vergünstigungen des Ordens teilhaben. Der genannte Ordensgeneral, Joachimus Turrianus, stammte aus Venedig. Sein Familienname lautete „de Turre” oder „de la Torre”; er stand an der Spitze der Dominikaner in der Zeit zwischen 1485 und 1500.[4] Von ihm ist sonst kein Einblattdruck aus dem 15. Jahrhundert bekannt.[5] Das gedruckte Datum in der letzten Zeile des Vordrucks lautet auf das Jahr 1494. Die leer gelassenen Teile dieser Zeile wurden im Exemplar von Zagreb handschriftlich ausgefüllt: „Venetijs die quinta mensis septembris.” Der Druckort dieser bisher unbekannten Inkunabel ist sicher die Stadt der Lagunen, wo der Ablaßbrief ausgestellt war und wo die weitaus meisten Druckwerke des 15. Jahrhunderts überhaupt hergestellt wurden. Mit Hilfe der Fachliteratur war es auch möglich, den Drucker zu bestimmen: Johann Hamann. Die Auszeichnungstype ist für 20 Zeilen 158 mm hoch und wird unter Hamann Nr. I im Typenrepertorium[6] sowie im Katalog des British Museums[7] registriert. Die Texttype hat eine Größe von 103 mm und wird unter Nr. 2 dieser Offizin in der Fachliteratur festgehalten.[8] Beim Vergleich mit der Tafel der Gesellschaft der Typenkunde des 15. Jahrhunderts[9] tauchte eine kleine Schwierigkeit auf: der Buchstabe „h” steht in der Reproduktion mit seinen beiden „Füßchen” auf der Grundlinie, im Ablaßbrief dagegen reicht das hintere Füßchen darunter. Doch der Londoner Katalog bietet dazu die Lösung: bis 1494 gehörte zu dieser Type das „h” mit zwei gleichgroßen Stielen.[10] Erst im Sarum Missale vom 1. Dezember 1494 taucht die neue Form auf;[11] wie man im Ablaßbrief sehen kann. Diese Änderung fand also bei dieser Type etwas früher, nämlich vor der Ausstellung des Ablaßbriefes (5. September 1494), statt.

Zwischen den zwei mit verschiedenen Typen gesetzten Teilen des Ablaßbriefes ist die handschriftliche Ausfüllung des Formulars in drei Zeilen mit den Namen der Begünstigten zu finden: „Magnifico domino Andree Both de Bayna ac domine Anne consorti sue unacum filia eiusdem Andree Chatherina et Francisco atque Johanne filiis condam magnifici domini Johannis Both de eadem etc. et filia eiusdem Barbara ac Stephano et Francisco filiis condam magnifici domini Emerici Both de eadem etc., necnon Magdalena prolibus condam magnifici domini Ambrosii Both unacum genitrice eorundem Martha.” In dieser Aufzählung kommen also nicht weniger als 13 verschiedene Personen vor. Wenn man diese zusammenfaßt, bekommt man den folgenden Stammbaum:

.............

Das Geschlecht der Both de Bajna gehörte zu den bedeutenden Familien von Ungarn um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts. Johannes der Ältere war Banus von Kroatien und fiel 1493 in der Schlacht gegen die Türken in Burg Brinia. Zur Zeit der Ausstellung des Ablaßbriefes von Venedig lebte Andreas von den vier Brüdern noch als einziger. Er führte die Liste der Begünstigten an, so ist es sicher, daß er ihn für seine ganze Familie ausstellen ließ. Andreas führte 1488 ein Heer von König Mathias von Ungarn und war von 1505 bis zu seinem Tod (1511) Banus von Kroatien. Auch sein Neffe, Johannes der Jüngere, kämpfte gegen die Türken. Er war Hauptmann in der Festung von Belgrad (Nándorfehérvár), als der Sultan 1521 die ganze Stadt eroberte und alle Verteidiger niedermetzeln ließ.[12]


Ismeretlen egyleveles búcsúlevél 1494-ből

A zágrábi akadémia levéltárában őrzik azt a hártyára nyomtatott búcsúlevelet, amelyet 1494-ben Velencében állítottak ki bajnai Both András és népes családja számára. Az okmány kibocsátója Joachimus Turrianus, a dominikánus rend generálisa. A korábbról ismeretlen egyleveles ősnyomtatványt ugyancsak Velencében állította elő 1494-ben Johann Hamann.


[1] Zbornik Historijskog Instituta (Zagreb) 2. (1959) 289–379. – 3. (1960) 563–643. – 4. (1961) 465–554. – 5. (1963) 533–578.

[2] Zbornik Historijskog Instituta (Zagreb) 4. (1961) 476.

[3] Budapest, Ungarisches Landesarchiv: DF 231 896.

[4] Quetif Jacobus: Scriptores ordinis praedicatorum recensiti … I. Lutetiae Parisiorum 1719. 869–870.

[5] Einblattdrucke des XV. Jahrhunderts. Halle/Saale 1914. – Die Redaktion des Gesamtkatalogs der Wiegendrucke (GW) teilte am 25. August 1993 schriftlich mit, daß diese Inkunabel bis jetzt bibliographisch unbekannt war.

[6] Haebler, Konrad: Typenrepertorium der Wiegendrucke. I–V. Halle/Saale 1905–1924. III/2. 354–355, Nr. 3.

[7] Catalogue of books printed in the XVth century now in the British Museum (BMC). V. London 1924. 422.

[8] Haebler, Konrad: Typenrepertorium der Wiegendrucke. I–V. Halle/Saale 1905–1924. III/2. 50–51, Nr. 8. – Catalogue of books printed in the XVth century now in the British Museum V. London 1924. 422.

[9] Veröffentlichungen der Gesellschaft für Typenkunde des XV. Jahrhunderts. Taf. 1–2460. Leipzig 1907–1939. 2430.

[10] Reproduziert auf der Tafel der Veröffentlichungen der Gesellschaft für Typenkunde des XV. Jahrhunderts. (Taf. 1–2460. Leipzig 1907–1939. Nr. 2430.) aus dem Jahre 1490.

[11] Catalogue of books printed in the XVth century now in the British Museum (BMC). V. London 1924. 422. – Missale ad usum Sarum = Salisbury.

[12] Nagy Iván: Magyarország családjai (Die Familien von Ungarn). I. Pest 1857. 214.




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