5. Druckerbestimmung von Druckwerken aus Ungarn 15–18. Jahrhundert

Ars impressoria. Entstehung und Entwicklung des Buchdrucks. München. 1986. 33–46.

Die retrospektive ungarische Nationalbibliographie wurde schon verhältnismäßig früh in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zusammengestellt. Sie war – einmal abgesehen vom Fleiß der damaligen Fachleute – allein dadurch erreichbar, weil diese Aufgabe überschaubar war. Die Buchproduktion in den früheren Jahrhunderten war in Ungarn wenig umfangreich. Dies läßt sich mit der recht späten Entwicklung im Karpaten-Becken erklären, die vor allem auf die türkische Besetzung der mittleren und südlichen Teile Ungarns im 16. und 17. Jahrhundert zurückzuführen ist.

Diese Periode – bis einschließlich 1711 – wurde von dem Altmeister der ungarischen Bibliographie – Károly Szabó – bearbeitet. Das Jahr 1711 bedeutet einerseits einen Meilenstein in der ungarischen Geschichte, weil der vom Fürsten Ferenc Rákóczi II. geführte Freiheitskrieg – bald nach der Befreiung des Landes von den Türken – durch die Habsburger niedergeschlagen wurde; andererseits ist es das Erscheinungsjahr der ersten ungarischen Biobibliographie von David Czwittinger. Szabó hat sich zuerst ausschließlich mit Druckwerken aus dieser Zeit befaßt, die ganz oder teilweise in ungarischer Sprache hergestellt waren. Seine diesbezügliche Bibliographie mit dem Titel: Régi Magyar Könyvtár (Altungarische Bibliothek) ist im Jahre 1879 mit 1793 Titeln erschienen. Die Zusammenstellung ist sehr zuverlässig und gab, bezogen auf die damaligen Verhältnisse und Möglichkeiten, eine gute Beschreibung, manche literarischen Hinweise und zugleich die Fundorte an.

Szabó wurde von der öffentlichen wissenschaftlichen Meinung aufgefordert, auch die Druckwerke bibliographisch zu erfassen, die zwar in Ungarn, nicht aber in ungarischer Sprache erschienen waren. So kam es zum zweiten Band seiner Arbeit mit 2452 Titeln, der 1885 erschien. Daraufhin hat Szabó seine Sammeltätigkeit ausgeweitet, um auch jene Werke ungarischer Verfasser bibliographisch zu erfassen, die nicht in ungarischer Sprache – überwiegend in lateinischer – geschrieben und im Ausland publiziert worden waren. Diese Arbeit konnte er jedoch nicht mehr vollenden. Árpád Hellebrant hat sich der Fortsetzung angenommen und den dritten Teil des Werkes in den Jahren 1896–1898 in zwei Bänden mit zusammen 4831 Titeln veröffentlicht. Die vierte Kategorie der Patriotica – also abgesehen von der Sprache, vom Erscheinungsgebiet und vom Verfasser – also dem Inhalt nach Hungarica-Werke, ist schon wegen ihrer Grundprinzipien so verwickelt, daß eine solche Bibliographie bis heute nicht verwirklicht wurde. Der ausgezeichnete Katalog der entsprechenden Sammlung von Sándor Apponyi deckt wenigstens teilweise diese Lücke.[1]

Der andere Bibliograph, der die nächste Periode der retrospektiven ungarischen Nationalbibliographie bearbeitete, ist Géza Petrik. Er kam nicht aus den Kreisen der Wissenschaftler wie der Universitätsprofessor Szabó, sondern aus dem Buchhandel. Aus praktischen Gründen faßte er ab 1860 – in größeren Abschnitten – die Verlags- und Buchhandelsverzeichnisse von Ungarn in einer Bibliographie zusammen. Petrik hat versucht, auch die Lücke zwischen 1712 und 1860 zu schließen, und zwar mit dem in den Jahren 1888–1892 erschienenen Werk: Magyarország könyvészeti irodalma. Bibliographica Hungarica 1712–1860. Seine eigene Datensammlung hat er dabei durch die Hauptkataloge der drei größten Bibliotheken in Budapest ergänzt, wodurch er sich wesentlich anspruchsloser gezeigt hat als Szabó. Andererseits hat er sich aber bemüht, auch über die Drucke zu berichten, die nur ihrem Inhalt nach „Hungarica” waren.

Die Bibliographie von Szabó schien den Fachleuten relativ vollständig zu sein, so daß es ihnen ausreichend erschien, die Ergänzungen dazu in verschiedenen ungarischen wissenschaftlichen Zeitschriften zu publizieren. Die meisten davon sind im Fachorgan für Buchgeschichte „Magyar Könyvszemle” (Ungarische Bücherschau) erschienen, die überhaupt die älteste und heute noch existierende Zeitschrift dieser Art auf der Welt ist.[2] In dieser Zeitschrift steht schon seit über hundert Jahren eine spezielle Rubrik für diesen bestimmten Zweck zur Verfügung. Die Anzahl der Ergänzungen wuchs mit der Zeit aber so sehr an, daß der Wunsch nach einer übersichtlichen Zusammenfassung immer lauter wurde. Der Amateur-Bibliograph Hiador Sztripszky stellte diese Addenda et Corrigenda zu dem Werk von Szabó – leider ziemlich kritiklos – zusammen. Das Werk erschien 1912 in vervielfältigter Form in einer Anzahl von nur 100 Exemplaren.[3]

Auch in den späteren Jahrzehnten tauchten immer wieder neue Angaben zu den Bänden der Bibliographie von Szabó auf. Besonders durch die Verstaatlichung in Ungarn (1948–1953) kamen viele bislang bibliographisch unbekannte Titel ans Tageslicht. Von den aufgelösten Klöstern, Vereinen, Buchhandlungen usw. wurden etwa 4,5 Millionen Bände in Gemeineigentum übernommen, die in der ungarischen Nationalbibliothek systematisch bearbeitet und anschließend verteilt wurden. Bei der Bearbeitung wurde festgestellt, daß nur etwa zwei Drittel der Hungarica aus der Periode 1712–1860 von Petrik bibliographisch erfaßt worden sind.

Diese Beobachtung und Feststellung machten den zuständigen Mitarbeitern der ungarischen Nationalbibliothek und den Fachleuten in der Wissenschaftlichen Akademie die Notwendigkeit deutlich, die retrospektive ungarische Nationalbibliographie neu zu bearbeiten. Dabei erkannte man von Anfang an, daß die beschränkten Mittel, die zur Verfügung standen, eine Durchführung nur stufenweise ermöglichten. So kam es zu der Entscheidung, nur die beiden ersten Kategorien der Hungarica in der ersten Phase neu zu bearbeiten. Es handelt sich also um alle Druckwerke, die auf ungarischem Gebiet hergestellt wurden und um die im Ausland erschienenen Publikationen, die ganz oder teilweise in ungarischer Sprache herausgekommen sind.

Szabó hat die Druckwerke in allen Teilen seines Werkes chronologisch registriert. Innerhalb eines Jahres ordnete er die Werke nach dem Alphabet der Druckorte und innerhalb eines Ortes nach dem Alphabet der Verfassernamen. Die Bücher mit unsicherem Erscheinungsort sind bei Szabó unter der Kategorie „ohne Druckort” am Schluß des Jahres zu finden. Die undatierten Werke wurden mit der Kennzeichnung „ohne Jahreszahl im 16. bzw. im 17. Jahrhundert” zwischen 1600 und 1601 bzw. zwischen 1700 und 1701 eingefügt.

Diese teils umfangreichen Gruppen machten die Zusammenstellung von Szabó teilweise unüberschaubar und schwer zu handhaben. Will man diese Probleme allerdings anspruchsvoller und befriedigender lösen, trifft man insbesondere bei Drucken ohne Impressum und bei Bruchstücken von Druckwerken immer wieder auf das grundlegende Problem: Wurde ein vorliegendes Werk auf ungarischem Gebiet hergestellt oder etwa im Ausland? Die exakte Beantwortung dieser Frage ist vom Standpunkt der Nationalbibliographie außerordentlich wichtig, entscheidet sie doch über die Aufnahme in die Bibliographie oder über den Ausschluß.

Zuerst war sodann die Klärung notwendig, was unter dem historischen Gebiet Ungarns zu verstehen sei. Obwohl der Begriffsinhalt sich im Laufe der Jahrhunderte natürlich mehrmals geändert hat, kann man dieses Gebiet doch im großen und ganzen – mit wenigen Änderungen – bis zum Jahre 1918 zufriedenstellend umreißen. Dabei leistet das früher oft feine Rechtsempfinden nicht selten eine gute Hilfe. Folgendes Beispiel mag dies erläutern: Das Kolophon eines Druckes aus dem Jahre 1595 aus Wimpassing (heute Österreich) trug auch in der Zeit der Verpfändung dieser Gegend an Osterreich die staatsrechtlich exakte Formulierung „Wimpassing in Ungarn”. Die gesamte Produktion übrigens dieser kleinen Franziskanerpresse, bei der kein einziger Satz in ungarischer Sprache gedruckt wurde, gehört also in die ungarische Nationalbibliographie, weil die Druckerei etwa hundert Meter östlich der Leitha stand, die Jahrhunderte lang die Grenze zwischen Österreich und Ungarn bildete. Aber auch auf der anderen Seite des Flusses muß man natürlich genauso konsequent vorgehen. Einige Kilometer westlich der erwähnten Ortschaft Wimpassing liegt Pottendorf, wo der ungarische Magnat Franz Nádasdy Grundherr war. Er hatte hier in den Jahren 1666–1669 eine Offizin eingerichtet, in der mehrere Drucke für Ungarn erschienen. Doch diese Ortschaft liegt schon in Niederösterreich, wodurch die dort hergestellten Bücher – nach dem Gebietsprinzip – nicht mehr in die ungarische Nationalbibliographie gehören.

Um die beschriebenen strengen Prinzipien auch bei den unfirmierten und allein in Bruchstücken bekannten Druckwerken konsequent durchführen zu können, ist also die genaue und zuverlässige Bestimmung des Druckortes unentbehrlich. Natürlich gilt dies auch für die Daten des Impressums, die fingiert oder absichtlich falsch sind. Damit ist allerdings eingestandenermaßen ein hoher theoretischer Anspruch gestellt, dessen Verwirklichung sich in der Praxis nur begrenzt durchhalten läßt. Für das 15. Jahrhundert kann man diesem Anspruch – von wenigen Ausnahmen abgesehen – noch genügen, für das 19. Jahrhundert meistens nicht einmal mehr innerhalb einer mittelgroßen Stadt.

Bei den Wiegendrucken wurde die Typenbestimmungsmethode – aufgrund der Arbeit von Henry Bradshaw – von Robert Proctor noch am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt und von Konrad Haebler am Anfang unseres Jahrhunderts vervollständigt. Haebler hat die Angaben der etwa 4 000 Buchstabentypen des 15. Jahrhunderts in gut übersehbaren Listen zusammengefaßt und in seinem „Typenrepertorium”[4] veröffentlicht. Mit Hilfe der fünf Teile des Werkes ist es möglich, die Offizin eines Drucks des 15. Jahrhunderts allein aufgrund eines Bruchstückes mit einigen Zeilen mit einer Sicherheit von etwa 95–98% zu bestimmen.

Diese Methode ist – wenigstens theoretisch – auch für die späteren Jahrhunderte gültig. Doch der konsequenten Durchführung und Anwendung stehen mehrere Hindernisse im Weg. Das erste und zugleich auch größte ist die zunehmende Zahl der Druckwerke. Aus dem 15. Jahrhundert sind uns bis heute Inkunabeln in etwa 30 000 verschiedenen bibliographischen Einheiten erhalten geblieben. In diesem Fall war es noch möglich – natürlich bei äußerst hohem Arbeitsaufwand –, alle Drucke aufgrund ihrer typographischen Ausstattung in der Berliner Redaktion des Gesamtkatalogs der Wiegendrucke (GW) mit ihrer Offizin zu identifizieren bzw. zu verifizieren. Diese Aufgabe würde bei den Drucken des 16. Jahrhunderts etwa 15 bis 20mal größer sein, die nur mit Hilfe der EDV lösbar sein dürfte.[5] Zur Realisierung wurde bislang kein Schritt getan.

Aber nicht nur die ständig wachsende Menge der in der ganzen Welt veröffentlichten Druckwerke verursacht Schwierigkeiten bei den Druckerbestimmungen. Auch im typographischen Material liegen Schwierigkeiten. Denn dieses Material, auf das die Methode Bradshaw-Proctor-Haebler aufbaut, hat mit der Zeit seine früheren, meistens noch von den handgeschriebenen Vorlagen abhängigen individuellen Charakterzüge mehr und mehr eingebüßt. Bald begann eine Tendenz der Vereinheitlichung der Typen aus verschiedenen Gründen (Ökonomie, Lesbarkeit, Anmut usw.). In den ersten Jahren des jungen Buchdrucks haben die einzelnen Druckereien ihre Patrizen, ihre Matrizen und ihre gegossenen Lettern zumeist selbst hergestellt, die dann oft nur innerhalb der eigenen Offizin gebraucht wurden. Diese drei grundlegenden Formen der setzbaren Buchstaben sind mit der Zeit immer stärker ausgetauscht worden. Die Tendenz dahin wurde durch die zunehmende Verselbständigung der einzelnen Arbeitsphasen (Stempelschneider, Schriftgießer) wirksam unterstützt. Auch die Patrizen, die einzeln geschnitten wurden und dadurch individuell sind, wechselten immer öfter ihre Inhaber. Die mit diesen Patrizen hergestellten oft Dutzende von Matrizen waren untereinander haargenau identisch und damit für eine Identifikation nicht mehr geeignet. Man kann mit diesen Matrizen Lettern in unbeschränkter Menge Lettern gießen, die keine charakteristischen, unverwechselbaren Züge mehr aufweisen. Allein noch die vom Gießinstrument abhängige Kegelhöhe bietet eine Chance zur Unterscheidung.

Aber nicht nur die gegossenen Buchstaben wurden mit der Zeit immer weniger charakteristisch, sondern auch der Buchschmuck. Die Stöcke der Holzschnitte und die Platten der Metallstiche waren anfangs noch zuverlässig individuell: Sie wurden einzeln hergestellt. Viele davon wanderten aber zwischen den Offizinen. Immerhin konnte diese sich in einer bestimmten Zeit nur in einer einzigen Offizin befinden. Mit der Zeit wurde aber auch ein Teil der Druckstöcke von Initialen, Vignetten usw. vervielfältigt. Wenn man einen Stock auf eine Holztafel gefärbt mehrmals abklatschte und diese dann einzeln ausschnitzte, entstanden individuell hergestellte Holzstöcke, deren Abdrucke sich aber in den Büchern nur theoretisch, in der Praxis aber kaum von einander unterscheiden lassen. Die gegossenen Klischees, die sich im Laufe des 16. Jahrhunderts mehr und mehr verbreiteten, geben nicht einmal mehr eine theoretische Möglichkeit der Unterscheidung.

All diese Schwierigkeiten durch die identische Vervielfältigung des typographischen Materials und infolge des Austauschs zeichneten sich schon im 15. Jahrhundert ab. So hat z. B. der GW selbst den Drucker bei einer unfirmierten Ausgabe des Werkes „Confessionale” von Antonius Florentinus aus dem Jahr 1477 als „Neapel: Matthias von Olmütz” bestimmt.[6] Aufgrund des Fehlens etlicher Buchstaben und mit der Unterstützung weiterer Argumente (Papier, Fundort etc.) konnte der bekannte ungarische Buchhistoriker József Fitz jedoch nachweisen, daß dieses Buch nicht in Neapel, sondern in Ungarn durch einen unbekannten Gesellen des Meisters von Olmütz hergestellt wurde.[7] So ist es kein Wunder, daß manche skeptischen, sogar ablehnenden Stimmen gegen die Gültigkeit der Methode von Bradshaw-Proctor-Haebler schon für das 15. Jahrhundert laut wurden (z. B. Ernst Consentius). In der Tat, man muß zugeben, es gibt durchaus Probleme schon für die letzten Jahre dieser Periode, vor allem in Venedig, wo die Typographie damals weitaus am entwickeltsten war.

Nach diesen Ausführungen könnten man nun meinen, eine Druckerbestimmung aufgrund des typographischen Materials sei ab 1500 aussichtslos. Mit einer weltumspannenden Bestimmung aller Druckwerke auf solche Weise kann man realistisch binnen einer absehbaren Zeit gewiß nicht rechnen, nicht einmal für das 16. Jahrhundert. Doch gibt es sicher einzelne Teilgebiete, auf denen, die Druckerbestimmung – nicht ausschließlich bei den Inkunabeln – ausreichend durchführbar ist. Proctor hat es mit seiner leider nicht vollendeten Arbeit bewiesen: Er hat die prächtige Sammlung von alten Drucken aus Deutschland, die sich im Britischen Museum befinden, nach Offizinen bestimmt, und zwar die Bestände für die Zeit zwischen 1501 und 1521.[8] Eine vergleichbare Arbeit über Bücher aus Italien hat Frank Isaac geleistet und publiziert.[9] Eine ganze Reihe von Monographien über einzelne Offizinen bzw. über die Typographie einzelner Städte registrieren entsprechend das typographische Material. Nur selten aber erstreckt sich eine solche Arbeit auf ein ganzes Land. Allein in Polen ist man bei der Arbeit.[10] Die Mitte des 16. Jahrhunderts ist dabei schon überschritten. Damit ist der Beweis angetreten, daß die Druckerbestimmung aufgrund des typographischen Materials – wenigstens auf einem beschränkten Gebiet – auch in der späteren Zeit eine Chance hat. Dieses Ergebnis entspricht den Ansprüchen der Neubearbeitung der ungarischen retrospektiven Nationalbibliographie.

Der Buchdruck hat in Ungarn verhältnismäßig früh Fuß gefaßt. Anfang Juni 1473 war die Ungarnchronik in lateinischer Sprache in Buda schon fertig. In der ungarischen Hauptstadt war also in der Offizin von Andreas Hess eine Druckerpresse früher tätig als in Spanien und England. Noch eine zweite Druckerei war in der Zeit zwischen 1477 und 1480 in Ungarn tätig, die oben – im Zusammenhang mit dem „Confessionale” 1477 – schon erwähnt wurde. Doch diese wahrscheinlich verfrühten Versuche hatten kaum ein ermutigendes Echo ausgelöst. Erst ab 1539 finden wir im Karpatenbecken eine kontinuierliche typographische Tätigkeit. Doch war ihre Produktion – im Vergleich mit den entwickelteren westeuropäischen Ländern – auch weiterhin äußerst bescheiden. Die Hälfte des ungarischen Gebietes wurde von den Türken über anderthalb Jahrhunderte (1526–1686) besetzt. In diesem Gebiet gab es überhaupt keine Druckerei. Auch große Teile des übrigen Gebietes wurden mehrmals von den Türken verwüstet. Die politische und wirtschaftliche Unsicherheit und die Armut begünstigten die Entwicklung der Typographie keineswegs. So ist es zu verstehen, daß die Zahl der gleichzeitig tätigen Offizinen in Ungarn im Laufe des 16. Jahrhunderts nie zweistellig war.

Die geschilderten Schwierigkeiten dauerten das ganze 17. Jahrhundert an. Bald nach der Vertreibung der Türken flammte der Freiheitskampf der Ungarn gegen die Habsburger auf. So bestanden im ersten Friedensjahr 1712 im ganzen Land nur acht Druckereien. Das 18. Jahrhundert bedeutete dann für Ungarn eine Epoche der Erholung nach den Kriegszeiten und die einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung. Das läßt sich dann auch an der Zahl der Druckereien ablesen: 1750 – 17 Druckereien, davon in zwei Städten sogar je zwei; 1775 – 29 Druckereien, davon dreimal zwei in einer Stadt und drei sogar in einer Stadt; 1800 waren es 40 Druckereien, viermal gab es in einer Stadt zwei Druckereien, zweimal drei und einmal gar vier.

Angesichts der geschilderten historischen Entwicklung, die dem Buchdruck wenig förderlich war, ist das wenig entwickelte Druckereiwesen Ungarns zu dieser Zeit verhältnismäßig gut überschaubar. Diese – unter anderen Aspekten gesehen traurige – Situation bietet also eine Chance bei der Neubearbeitung der retrospektiven ungarischen Nationalbibliographie für die Bestimmung der Offizin bei unfirmierten Druckwerken. Es wird möglich sein, die inländischen zu erkennen und die ausländischen auszuschließen. Die Bibliographie der alten ungarischen Drucke[11] ist nach dem Vorbild von Szabó chronologisch aufgebaut. So ist nicht nur die Druckerbestimmung unentbehrlich, sondern auch eine Bestimmung der Entstehungszeit.

Diese Anforderungen versuchen wir dadurch zu erfüllen, daß wir das komplette typographische Material der früheren Jahrhunderte aller Druckereien in Ungarn – parallel mit der erwähnten Bibliographie der alten ungarischen Drucke – rekonstruieren. Dazu wird alles, was in den richtig firmierten Produkten der einzelnen Offizinen mit Druckerfarbe eine Spur hinterließ, mit maßgerechten Xerokopien in Originalgröße registriert.

Dabei muß man darauf achten, daß von einem ursprünglich gut gelungenen Originalabdruck eine möglichst scharfe Reproduktion hergestellt wird. Es ist unentbehrlich, daß unbedingt alle voneinander abweichenden typographischen Materialien registriert werden, selbstverständlich aber nur einmal.

Diese werden in folgende Kategorien eingeteilt und eingeordnet:

  1. Buchstabentypen mit Zahl- und Kalenderzeichen,

  2. gegossene Röschen,

  3. Initialen und Lombarden,

  4. Buchschmuck (Vignetten, Zierleisten usw.),

  5. Illustrationen,

  6. Varia (Linien, Großklammer usw.).

Bei den ersten beiden Gruppen handelt es sich um gegossenes Material; die einzelnen Lettern und Zierden sind jeweils absichtlich identisch. Hier ist man bestrebt, aus den vollständigen und besten Abdrucken der einzelnen Buchstaben und Röschen eine Musterserie zusammenzustellen. Sie soll alle Lettern und Zeichen bzw. allen Zirat enthalten, die in den Produkten der untersuchten Werkstätten vorkommen. Die Typen werden nach dem Vorbild jener Tafeln hergestellt, die von der Gesellschaft für Typenkunde des 15. Jahrhunderts[12] publiziert wurden und in Fachkreisen als bewährt angesehen werden. Unsere Zusammenstellung besteht also einerseits aus der Reproduktion eines charakteristischen Textteiles, andererseits aus dem Musteralphabet aller vorkommenden Zeichen. Dabei wird angestrebt, die eindeutig voneinander abweichenden Lettern zu unterscheiden, die also von verschiedenen Matrizen stammen. Die in den Druckwerken vorübergehend auftauchenden deformierten Buchstaben werden dabei außer acht gelassen, weil sie durch Unachtsamkeit der Typographen entstanden sind. Diese sollten sogleich ausgemustert werden. Dagegen sind die aus fremden Typen konsequent einspringenden Lettern – meist als Ergänzung und oft nicht nur vorübergehend angewandt – zu registrieren.

Die sorgfältige Einhaltung der genannten Grundprinzipien ist in der Praxis nicht immer leicht. Man geht bei der Zusammenstellung einer verbreiteten Texttype meistens von dem frühesten wenigstens aus einem ganzen Bogen bestehenden Druckwerk der Offizin aus. Daraus soll die Grundsammlung hergestellt werden. Weitere Ergänzungen der Musterserie können aus anderen Produkten der Werkstatt genommen werden. Selbst bei der technischen Abwicklung muß man sehr vorsichtig vorgehen. So hat es sich bewährt, die theoretische Zeilenbasis, auf der alle Versalien liegen, noch vor dem Ausschneiden der Buchstaben oder des Zeichens von der Kopie mit Bleistift festzulegen, damit sie dadurch in der Musterserie die richtige und charakteristische Stellung (z. B. der Punkt etwas höher als die Sohle der meisten Lettern) einnehmen. Die oft mühsame Arbeit erübrigt sich allein in den Fällen, in denen ein Originalschriftmuster der Werkstatt noch vorhanden ist. In Ungarn sind davon allerdings nur wenige und fast nur aus dem späteren 18. Jahrhundert erhalten geblieben.

Alle Typen erhalten eine Evidenzkartei, in der folgende Angaben zu finden sind:

Druckort, Typograph und laufende Nummer nach der chronologischen Ordnung, wie die Typen in den Produkten der Offizin erscheinen.

  1. Kegelhöhe (20 Zeilen in mm angegeben) und Art der Buchstaben (Antiqua, Fraktur, Griechisch, Kursive usw.).Also z. B. 1: 88A, 2: 108F, 3: 118G, 4: 98K.

  2. Sämtliche Vorkommen der Type: wann, in welchem Druckwerk und genau wo. Wenn sie nur einzeln auftaucht, so mit genauer Bezeichnung der Seite; wenn sie im ganzen Buch immer wieder vorkommt, dann soll die Funktion (Texttype, für die Marginalien, für die Widmung usw.) angegeben werden.

  3. Fundort der Grundsammlung (meistens ein Bogen eines Werkes) und aller weiteren Ergänzungen (welche Letter in welchem Druckwerk, auf welcher Seite und in welcher Zeile).

  4. Anmerkungen mit dem genauen Zeitpunkt der Änderungen und ihres Fundortes: abweichende Schriftformen (z. B. veränderte diakritische Zeichen, charakteristische Bruch- oder Deformierungsstelle), einspringende Lettern, Auffrischen durch Neuguß usw.

  5. Verweisung auf andere in irgendeinem Zusammenhang stehende Typen (Kegeländerung durch Umguß, fremde Versalien als Kapitälchen usw.). Mit der Musterserie, mit der Musterseite und aufgrund der kurz gekennzeichneten Evidenzkartei werden alle Angaben festgehalten, die bei der Auswertung benötigt werden. Dank der genauen Registrierung aller Quellen kann man allen Problemen und Unsicherheiten, die später eventuell auftauchen, nachgehen.

Die gegossenen Röschen werden nach ihren Grundelementen registriert. Daraus werden die verschiedenen Zierden (Leisten, Rahmen, Schlußvignetten usw.) zusammengestellt. Die Evidenzkartei entsteht in dieser Kategorie etwa nach dem oben beschriebenen Verfahren. Das Vorkommen in einzelnen Druckwerken wird natürlich verzeichnet, doch hat es sich in der Praxis als entbehrlich herausgestellt, die genaue Fixierung sämtlicher Varianten (Stellung, Kombinationen mit sich selbst oder mit anderen Röschen usw.), deren Zahl im 17. und 18. Jahrhundert oft sehr hoch sein kann.

Wir machten im allgemeinen die Erfahrung, daß man die sehr anspruchsvolle Methode nur bei den Druckwerken des 16. Jahrhunderts anwenden soll. In den späteren Perioden entstehen keine wesentlichen Fehler dadurch – natürlich in gründlich überdachter Weise –, wenn man etwas von den höheren Ansprüchen abrückt. So genügt es später – vor allem im 18. Jahrhundert –, allein die Type genau zu registrieren; auf eine mühsame „Jagd” nach allen einzelnen Buchstaben und Zeichen kann man verzichten, ohne die sichere Grundlage zu einer Druckerbestimmung dadurch ernstlich zu gefährden.

Die Initialen werden nach Größe und nach Stil möglichst in Serien zusammengefaßt, auch wenn verschiedene Schnitte von demselben Buchstaben vorhanden sind. In den überwiegend armen und kleineren Werkstätten in Ungarn landeten meist nur die übriggebliebenen und dadurch oft schon stark abgenutzten Teile der Initialserien aus dem Ausland. Auch die Einzelstücke bilden eine selbständige Serie in der Registratur. Jede Initiale der einzelnen Serien bekommt eine Evidenzkartei, jedes Vorkommen wird genau (also nach Seitenzahl) festgehalten.

Der Buchschmuck (Zierleisten, Vignetten usw.) und die Illustrationen werden ähnlich in einer Evidenzkartei verzeichnet. Also alle bekannten Vorkommen werden einzeln mit den eventuell eingetretenen Abweichungen (Sprung des Druckstockes, durch Abbröckeln verkleinerte Druckoberfläche usw. ) registriert.

Die letzte Gruppe (Varia) ist nur eine theoretische Kategorie, um dadurch alle Teile des Druckwerkes einbeziehen zu können. In der Praxis bieten diese Elemente (Linien usw.) keine wesentlichen Orientierungshilfen.

Die kurz charakterisierten Evidenzkarteien werden innerhalb einer Werkstatt in kurzen Listen zusammengefaßt. So ist daraus mit einem Blick abzulesen, welche Typen, Initialen, Illustrationen usw. dort in welcher Periode gebraucht wurden.

Von sämtlichen Werken der alten ungarischen Druckereien werden einzeln buchgeschichtliche Datenblätter angelegt. Darin wird das vollständige typographische Material registriert, das im jeweiligen Druck vorkommt. Parallel zu der erwähnten Registrierung sind alle Angaben hier also nach einzelnen Kategorien (Typen, Initialen usw.) zusammengefaßt, die in einer einzigen bibliographischen Einheit vorkommen. Hier ist es auch möglich, die bei der Druckerbestimmung oft nützliche Hilfe leistenden charakteristischen Merkmale des Satzes festzuhalten. Die Gesichtspunkte können äußerst vielseitig sein: angefangen von der Größe des Satzspiegels über die Anordnung der Kustoden bis hin zur Praxis beim Vorschlag.

Aufgrund der genannten Register kann man ein klares Bild über eine Offizin gewinnen. Es ist möglich, die Entwicklung bzw. den Abbau des typographischen Materials zu verfolgen, seine Armut oder seinen Reichtum festzustellen, die Gewohnheiten der Setzer herauszufinden usw. In Ungarn, wo die diesbezüglichen archivarischen Quellen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts fast vollkommen fehlen, ist die geschilderte Analyse einer Druckerei enorm wichtig. Sie bildet meistens eine neue Grundlage für die Zusammenstellung einer Druckermonographie.

Die Zusammenfassung der Angaben aller ungarischen Werkstätten nach den einzelnen typographischen Kategorien (Typen, Buchschmuck usw.) gibt eine sichere Basis für die gewünschte Druckerbestimmung, die schon ausführlich besprochen wurde. Weiß man genau, daß z. B. eine Antiquatexttype von 96 mm in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts von einigen Werkstätten in Ungarn benutzt wurde, kann man schon anfangen, die Offizin zu bestimmen.

Die Bearbeitung der retrospektiven ungarischen Nationalbibliographie ist bis zum Zeitabschnitt 1636-1650 gediehen. Notwendig ist es jetzt, das vollständige Material der Typographie von ganz Ungarn mindestens bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts zu kennen. Wir sind bemüht, stets ein oder zwei Jahrzehnte vorauszusein, um vor Überraschungen gefreit zu sein und um die Zuverlässigkeit der Druckerbestimmung zu gewährleisten.

Auf einigen Gebieten machen wir Experimente, um die Grenzen der von uns angewandten Methode abzutasten. So ist jetzt eine Spezialarbeit begonnen worden, um alle Texttypen zusammenzufassen, womit ein einzelnes Druckwerk mit einem zusammenhängenden Text in ungarischer Sprache hergestellt wurde. Weil für unsere Nationalbibliographie auch im Ausland herausgebrachte Publikationen zu bearbeiten sind, werden hier – ausnahmsweise – auch diejenigen Typen registriert, die außerhalb Ungarns für einen ungarischen Text Verwendung fanden. Diese Sonderarbeit wurde vom Beginn des Buchdrucks bis zu den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts bereits geleistet. Diese Arbeit gestaltet sich jedoch zunehmend zeitaufwendiger, weil die Materialfülle ständig wächst. Besonders wichtig scheint uns hier, die Zeitgrenze festzustellen, bis wann unsere Methode der Druckerbestimmung innerhalb Ungarns einwandfrei angewandt werden kann. Einzelne Untersuchungen haben gezeigt, daß bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts keine wesentlichen Bedenken zu erwarten sind. Die zahlreichen diakritischen Zeichen, die für die ungarische Orthographie so wichtig sind, leisten hier eine wichtige Hilfe. Die Matrizen, die aus dem Ausland stammten, wurden in Ungarn teilweise dementsprechend adjustiert. Diese nachträglichen und dadurch individuellen Änderungen geben den Werkstätten oft ein individuelles Gepräge. Trotzdem besteht kaum eine begründete Hoffnung, eine sichere Druckerbestimmung in allen Fällen bis zum 19. Jahrhundert durchzuführen, aber bis zur Mitte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts scheint es möglich zu sein. Auch in dem letzten Viertel – wenn auch nicht in allen Fällen – rechnen wir mit einem großen Annäherungswert.

Man darf aber keineswegs allein aufgrund einer Type oder Initiale entscheiden. Nur die Identität des gesamten typographischen Materials bietet eine überzeugende Grundlage zu der Bestimmung einer Werkstatt. Die Matrizen und die Druckstöcke der Offizinen in Ungarn stammten ursprünglich in den früheren Jahrhunderten aus dem Ausland. Nur selten arbeiteten große Meister in ihrer Heimat wie der Schriftschneider Miklós Tótfalusi Kis (Amsterdam 1680–1689; Klausenburg 1693–1702) oder der Holzschneider Johannes Honterus (Basel 1531–1533; Kronstadt 1539–1549). Die einzelnen Offizinen haben ihre Ausstattung aus verschiedenen Städten bezogen (anfangs Wien, Krakau, Breslau; später Leipzig, Frankfurt usw.). Auch der Bestand der einheimischen Werkstätten wanderte oft von einem Ort zum andern. Dadurch ist die Zusammensetzung der gesamten typographischen Ausstattung für die einzelne Offizin allein charakteristisch.

Aber es gilt auch umgekehrt: wenn die ganze – oder wenigstens fast die ganze – typographische Ausstattung von verschiedenen Offizinen innerhalb des Landes miteinander identisch ist und in der Chronologie einander nicht überdeckt, so kann man annehmen, daß es sich hier um denselben Bestand handelt, der mit der Zeit einem anderen Drucker überlassen wurde, sei es am selben Ort, sei es an einem anderen Ort. Auf diese Weise war es möglich, mit der Zeit im 16. und 17. Jahrhundert ganze Ketten von Druckereien zu ermitteln, die mit demselben Material gearbeitet haben. Besonders verblüffend war die Feststellung von Judit Ecsedy,[13] die sie aufgrund der beschriebenen Methoden gemacht hat. Sie hat nämlich bewiesen, daß die Druckerei der Fürsten von Siebenbürgen in der Residenzstadt Weißenburg,[14] die als kalvinistische Hochburg galt, eigentlich mit der Offizin des katholischen Erzbischofs von Preßburg identisch ist. Der Verfassern ist es gelungen, auch die genaue Route bzw. die Stationen dieser Druckerei festzulegen, wodurch die Rekonstruktion der Druckertätigkeit möglich war: Preßburg 1610–1617, Tyrnau 1619–1620, Kaschau 1621–1622, Weißenburg ab 1623. Dabei ist der größte Teil des Bestandes (von 14 Typen 13, alle vier Initialserien, mindestens 9 von 14 Röschen) einzeln in allen vier Orten festzustellen. Eine ähnliche Kette von Druckereien mit derselben Ausstattung konnte dieselbe Verfasserin auch in West Ungarn ausfindig machen: 1617–1619 Güssing, 1624–1632 Pápa, 1637–1645 Tejfalu, 1650 Somorja, 1658–1664 Güns.[15]

Nicht nur eine Identifikation im beschriebenen Sinne ist mit Hilfe dieser Forschungsmethode möglich, sondern auch die sichere Unterscheidung verschiedener Druckereien, die sonst logisch miteinander verbunden sein könnten. So ist es sicher, daß die damals einzige katholische Offizin des Landes in Tyrnau 1609 spurlos verschwand. Die im folgendem Jahr in Preßburg errichtete Druckerei wurde mit einem vollkommen anderen Material begründet.[16] Auch in Kaschau war die Typographie nicht allein in einer Werkstatt vertreten. Parallel damit arbeitete eine zweite in den Jahren 1621–1622, und erst nach dem Wegziehen beider tauchte eine dritte Werkstatt aus Leutschau auf (1623).[17]

Es wurde schon kurz darauf hingewiesen, daß nur die genaue Registrierung des gesamten topographischen Materials einer Werkstatt eine zuverlässige Grundlage zur Beschreibung der Geschichte der Offizin bildet. So hat Ilona Pavercsik eine Monographie über die Druckertätigkeit der aus Wittemberg stammenden Familie Brewer in Leutschau aus der Zeit zwischen 1625 und 1739 geschrieben. Dabei wurden nicht weniger als 97 verschiedene Typen, 22 Initialserien und 72 Buchschmuckformen usw. registriert.[18]

Besonders interessant sind die Untersuchungen von Druckereien, die aus dem Ausland unmittelbar nach Ungarn gekommen sind. Dabei bemühen wir uns auch um die Vorgeschichte, in dem wir die typographische Ausstattung der übersiedelten Offizin für die Zeit vor der Übersiedelung gründlich zu erkennen trachten. Das schaffte Frau Evamaria Zsigmondy, die das Material der Werkstatt von Joannes Manlius schon in ihrer Anfangsperiode in Laibach (1575–1580) rekonstruierte, um die spätere Zeit in Ungarn (1582–1605) genauer registrieren zu können.[19] Auch eine weitere Mitarbeiterin der Ungarischen Nationalbibliothek, Szilvia Bánfi, beschäftigt sich zur Zeit mit der Rekonstruktion eines typographischen Bestandes, und zwar dem des Raphael Hoffhalters in Wien (1556–1563), um ein möglichst klares Bild über seine Tätigkeit in Ungarn (1563–1568) zu gewinnen.

Es hat keinen Sinn, über die Schwierigkeiten und Probleme unserer Bemühungen mit der Druckerbestimmung zu schweigen. Dabei spielen die in mehreren Druckereien Ungarns gleichzeitig gebrauchten identischen Typen eine wesentliche Rolle. Sie stammen teilweise von derselben ausländischen Quelle oder wurden mit denselben Matrizen und mit dem gleichen Gießinstrument innerhalb des Landes hergestellt. Man muß besonders bei der Auffrischung der Type aufpassen. Statt Umguß kommt es öfters vor, daß eine neue Type genau mit derselben Kegelhöhe erscheint, die die alte hatte. Bei der Erneuerung einer Type muß man also genau unterscheiden, ob es sich dabei um einen Umguß oder um eine neue Type handelt, die nur neu eingeführt wurde und den früheren Lettern oft auch in ihrem Schnitt sehr ähnelt.

Vergleichbare Sorge bereitet auch oft der Buchschmuck. Man ist oft leicht geneigt, einen individuellen Schnitt anzunehmen, obwohl die Sache ganz anders liegt. Nicht selten sind ganz eigenartig ausschauende Signete und Kopfleisten genaue Nachschnitte oder sogar Nachgüsse eines Originals, wodurch man die einzelnen Exemplare voneinander kaum oder überhaupt nicht unterscheiden kann. Mindestens so problematisch sind die Klischeeinitialen, die aus Deutschland stammen und in mehreren Werkstätten Ungarns oft parallel gebraucht wurden. Man muß also, wie bereits mehrfach betont wurde, immer die gesamte typographische Einrichtung untersuchen. Man darf nur im Falle einer lückenlosen Identität den Drucker bestimmen. Die eventuell auftauchenden Abweichungen (z. B. Deformation) oder bisher unbekanntes Material (z. B. eine griechische Type) sollen und müssen erklärbar sein. Unter solchen Bedingungen waren alle Druckerbestimmungen bis heute überzeugend durchführbar, wodurch die Neubearbeitung der retrospektiven ungarischen Nationalbibliographie auf einer sicheren Grundlage ruht.

Parallel mit der Festlegung des Druckortes ist auch die annähernde Bestimmung des Druckjahres wünschenswert, um die undatierten oder nur aus Bruchstücken bekannten Druckwerke in die Chronologie der Nationalbibliographie möglichst an der richtigen Stelle einzuordnen. Die meist gebrauchten Texttypen einer Offizin weisen – innerhalb einer Gebrauchszeit von 30–40 Jahren – mit der Zeit deutliche Abnützungsspuren auf. So ist es möglich, diesen Prozeß bei datierten Publikationen zu verfolgen: vom Neuguß (oder von der Erwerbung) bis zur Ausmusterung (oder bis zum nächsten Neuguß). Zwischen diesen Endpunkten bietet der Druckspiegel ein mit der Zeit immer stärker abfallendes Niveau. Man kann also den Zustand der Texttype des undatierten Werkes mit den datierten vergleichen. Dabei muß man aber sehr aufpassen, weil die Einfärbung die Beurteilung der Abnutzungsstufe optisch stark beeinflussen kann. Sogar die Qualität des verwendeten Papiers (z. B. bei den aus dem Bucheinband ausgelösten Bruchstücken) kann irreführend sein. Wenn man also den Stand der Texttype objektiv beurteilt, so kann man die fehlende Datierung – mit einer gewissen Erfahrung – im 17. Jahrhundert bei einer produktiven Druckerei im Vergleich mit datierten Büchern mit einer Genauigkeit von fünf bis zehn Jahren ziemlich überzeugend feststellen.

Soweit über die Untersuchungen, die man aufgrund eines – möglichst kompletten – Exemplars bei einzelnen Druckwerken durchführen kann. Die Ergebnisse haben sich für unsere retrospektive Nationalbibliographie für zulänglich erwiesen. Durch weitere Untersuchungen ist es oft möglich, auch die feinen Einzelheiten des inneren Lebens einer Werkstatt zu rekonstruieren. Das macht die sogenannte analytische Druckforschung möglich, bei der man möglichst alle bekannten Exemplare einer Druckerei eingehend miteinander vergleicht, um durch die Auswertung der dabei festgestellten Satzvarianten die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Diese anspruchsvolle Methode verlangt einen großen Arbeits- und nicht selten hohen Kostenaufwand, so daß sie nur bei hervorragenden Drucken berechtigt ist: z. B. bei Erstausgaben von Klassikern, wichtigen Bibelausgaben, ersten Drucken eines Landes usw.

Von den zwei Wiegendruckereien Ungarns sind nur fünf Titel in 18 Exemplaren erhalten geblieben. Davon sind zwei Unikate. Von den andern drei Inkunabeln sind insgesamt 16 Exemplare (2 und 5 und 9) in verschiedenen Bibliotheken Europas vorhanden. Von 15 steht uns eine vollständige Xerokopie in Originalgröße schon zur Verfügung. Dank der großzügigen Hilfe der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel wurden sie miteinander in einem Hinman-Collator verglichen. Wenn wir auch die gewünschte Kopie des 16. Exemplars aus Rom bekommen, wird es möglich sein, alle Abweichungen auszuwerten bzw. die logischen Folgerungen in Bezug auf das innere Leben der ersten zwei Offizinen Ungarns zu ziehen. Leider steht überhaupt keine Zeile in archivarischen Quellen. So sind wir geradezu gezwungen, diese mühsame Methode als letzte Hoffnung, unser Wissen über die frühen Werkstätten zu vergrößern, auf uns zu nehmen. Unter den heutigen Bedingungen kommen aus der späteren Zeit nur noch einige wenige Bücher in Frage, bei denen eine solche aufwendige analytische Forschung sich lohnt.


[1] Apponyi, Alexander: Hungarica. I–IV. München 1900–1925.

[2] Magyar Könyvszemle 1977. 196–197.

[3] Appendix ad I–II tomus operis Caroli Szabó “Bibliographia Hungarica vetus”. Additiones et emendationes. Budapest 1912.

[4] Typenrepertorium der Wiegendrucke. I–V. Halle a. d. Saale 1905–1925.

[5] Borsa Gedeon: Computer-assisted examination of printing types of early printing. Magyar Könyvszemle 1971. 165–170.

[6] GW 2108.

[7] Gutenberg-Jahrbuch 1939. 128–137.

[8] An index to the early printed books in the British Museum. Part II. MDI–MDXX. Section I. Germany. London 1903.

[9] An index to the early printed books in the British Museum. Part II. MDI–MDXX. Section II. Italy. Section III. Switzerland and Eastern Europe. London 1938.

[10] Polonia typographica saeculi sedecimi. I–XIII. Wroc³aw 1959–1981.

[11] Res litteraria Hungariae vetus operum impressorum. I. 1473–1600. Budapest 1971. – II. 1601–1635. Budapest 1983.

[12] Leipzig 1907–1939.

[13] Magyar Könyvszemle 1975. 9–24.

[14] Später Karlsburg genannt = Gyulafehérvár = Alba Iulia.

[15] Az Országos Széchényi Könyvtár Évkönyve 1979. 303–352.

[16] Magyar Könyvszemle 1975. 20.

[17] Magyar Könyvszemle 1975. 11–14.

[18] Gleichzeitig wurde etwa die Hälfte der obigen gebraucht. – Az Országos Széchényi Könyvtár Évkönyve 1979. 353–408, 1980. 349–473.

[19] Az Országos Széchényi Könyvtár Évkönyve 1982/1983. 297–410.




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