21. Auf der Suche nach alten Drucken in Siebenbürgen

Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 1999. 1. 122–124.

Die Ungarische Nationalbibliothek (Országos Széchényi Könyvtár, OSzK) in Budapest ist die zentrale Dokumentations-Bibliothek für alle Hungarica-Druckerzeugnisse: von Büchern über Zeitungen, Handschriften, Plakate und Noten bis hin zu Karten. Der Begriff „Hungarica” heißt, daß diese Dokumente etwas mit Ungarn zu tun haben. Diese Beziehung zu Ungarn läßt sich in vier Gruppen einteilen: nach Sprache, nach Druckort, nach Verfasser und nach Inhalt. Unter „Ungarn” ist das Gebiet der ungarischen Reichshälfte der Donaumonarchie ohne Kroatien-Slawonien[1] zu verstehen. Es handelt sich somit um das Gebiet von Preßburg bis Kronstadt, also von der Hauptstadt der jetzigen Slowakei über Budapest bis Kronstadt in der Mitte des heutigen Rumänien.

Zu den Hauptaufgaben der Ungarischen Nationalbibliothek gehört die Erschließung und Bearbeitung der Bestände. Damit ist nicht allein die Katalogisierung gemeint, sondern auch die Registrierung derjenigen Hungarica-Dokumente, die in der Nationalbibliothek nicht vorliegen. Besonders aus der Zeit vor ihrer Gründung 1802 bestehen bedeutende Lücken. Die Ergebnisse der letztgenannten Aufgabe sind in der sogenannten retrospektiven Nationalbibliographie zusammengefaßt. Ungarn ist in der glücklichen Lage, daß diese Arbeit – in einer ganzen Reihe von Publikationen – schon einmal geleistet wurde. Von der Gründung der ersten Druckerei 1473 in Ofen bis zum letzten Halbmonat besteht theoretisch also eine Übersicht von Druckwerken, die auf dem Gebiet des historischen Ungarn hergestellt wurden.

Leider besitzen diese Bibliographien, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erschienen sind, keine einheitliche Qualität, zudem ist die Zahl der nicht registrierten Druckwerke relativ umfangreich. So erscheint eine Neubearbeitung der retrospektiven ungarischen Nationalbibliographie, besonders der früheren Perioden, immer notwendiger. Schon vor mehreren Jahrzehnten wurde in der OSzK eine Arbeitsgruppe gebildet, um Bibliographien der Drucke, die bis Ende des 18. Jahrhunderts auf dem oben genannten Gebiet hergestellt wurden, neu zu bearbeiten.

Die neue Bibliographie wird nach der Chronologie des Erscheinens bearbeitet. Sie ist nicht nur methodisch zeitgemäß, sondern stützt sich zudem auf eine intensive und systematische Prüfung möglichst vieler Sammlungen, in denen alte ungarländische Drucke in größerer Zahl erwartet werden können. Der Titel dieser neuen Reihe lautet „Régi Magyarországi Nomtatványok” (Alte ungarländische Drucke, RMNy).[2]

Es ist noch anzumerken, daß diese Bibliographie auch international Anerkennung fand. So stützen sich zum Beispiel die finnischen Fachleute in ihrer Parallelarbeit auf den gleichen methodischen Ansatz. Leider ist die ungarische Sprache von den meisten anderen europäischen Sprachfamilien stark isoliert, wodurch ungarische Veröffentlichungen für diese Sprache Unkundige nahezu unzugänglich sind. Deshalb wurde in der Arbeitsgruppe schon daran gedacht, die Bände in lateinischer Sprache zu redigieren und von allen Titelblättern eine Reproduktion zu veröffentlichen. Der Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde hielt es deshalb unter dem oben genannten Gesichtspunkt für angebracht, die einleitende Beschreibung und die anspruchsvolle Zusammenfassung der Fachliteratur über die beinahe 400 siebenbürgischen Titel des ersten Bandes in deutscher Übersetzung zu publizieren.[3]

Die Arbeitsgruppe der Ungarischen Nationalbibliothek bemüht sich parallel zur Bearbeitung der folgenden Bände – drei weitere sind noch für die Zeit von 1656 bis 1700 vorgesehen –, ergänzende Angaben über die Werke auch aus dem 18. Jahrhundert zusammenzutragen. Die damaligen Offizinen im Karpaten-Becken stellten Publikationen her, die meistens nur zur Befriedigung örtlicher Druckbedürfnisse dienten. Somit war die räumliche Verbreitung der Exemplare meistens stark eingeschränkt. So wurden bis heute von etwa 35 000 verschiedenen Druckwerken bis zum Jahr 1800 über 200 000 Exemplare registriert. Weit über 90 Prozent davon befinden sich gegenwärtig innerhalb des Karpatenbeckens. In den vergangenen Jahrzehnten wurden natürlich in erster Linie die öffentlichen Sammlungen in Ungarn nach diesen Drucken durchforstet. Anschließend folgten die Bibliotheken von Österreich, den beiden Teilen Deutschlands, der ehemaligen Tschechoslowakei und des ehemaligen Jugoslawiens. Erst nach 1989 war es möglich, in der Karpato-Ukraine beziehungsweise in Siebenbürgen zu arbeiten.

Nach den bisherigen Erfahrungen kann in Siebenbürgen mit etwa 30 000 Exemplaren von Druckwerken gerechnet werden, die vor 1801 im Karpatenbecken hergestellt wurden. Von den siebenbürgischen Städten besitzen Klausenburg und Hermannstadt die meisten alten Drucke, gefolgt von Neumarkt am Mieresch und Kronstadt. Aber auch andere sächsische Städte wie Schäßburg und Mediasch besitzen bedeutende Bestände alter Werke.

Die gedruckten Bücher waren unmittelbar nach der epochemachenden Erfindung von Gutenberg recht teuer. So wurden die meisten von kirchlichen Institutionen (Kapiteln, Ordenshäusern etc.) erworben. Nach der Auflösung dieser Einrichtungen im Zuge der Reformation verfügten zumeist die städtischen Verwaltungen Siebenbürgens über die Bestände. Diese gelangten im Laufe der Zeit überwiegend in die Bibliotheken der städtischen protestantischen Schulen (etwa in Kronstadt oder Klausenburg). Diese Konstellation bleibt charakteristisch bis zum 18. Jahrhundert. Nach der damaligen Reorganisation der katholischen Hierarchie gewannen die bischöflichen Bibliotheken (zum Beispiel in Karlsburg) und mehrere Ordensbibliotheken (etwa die Jesuiten in Klausenburg) ihre Bedeutung wieder zurück. Diese Situation erhielt sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Durch die Verstaatlichung der kirchlichen Institutionen (Orden, Schulen, Museen etc.) nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstand eine neue Lage. Die Umsetzung der Verstaatlichung mit ihren Folgen war in Siebenbürgen nicht einheitlich. In einigen Fällen blieben die entsprechenden Sammlungen an Ort und Stelle, so zum Beispiel die bischöfliche Bibliothek von Karlsburg, die heute eine Filiale der Nationalbibliothek Bukarest ist. Andere wurden in eine neue Organisation eingegliedert, etwa die Schulbibliotheken der katholischen, reformierten und unitarischen Kirchen Klausenburgs in die neugegründete Filiale der Rumänischen Akademie. Die Mehrheit der Bücher des evangelischen Gymnasiums von Kronstadt findet sich heute in der örtlichen Filiale des Nationalarchivs, in Schäßburg hingegen in der Stadtbibliothek. Schließlich gibt es einige wenige Sammlungen, die stets zur Kirche gehörten und auch durch die Verstaatlichung nicht direkt betroffen waren.

Die systematische Durchsuchung der größeren öffentlichen Sammlungen (Bibliotheken, Archive und Museen) in Siebenbürgen stellt natürlich eine enorm große Aufgabe dar. Die Bibliotheken bemühen sich, ihre Bestände zumindest in Inventarbüchern zu registrieren. In den Archiven ist die Situation wesentlich schwieriger, weil dort die Kleindrucke, häufig Unikate, in den handgeschriebenen Aktenbündeln nahezu vollkommen „getarnt” sind. Diese Druckwerke aus den Archiven zu selektieren, ist theoretisch wie praktisch fast unmöglich. In den Museen schließlich spielen die Bibliotheken im Vergleich zu den Grundsammlungen (etwa Archäologie oder Ethnographie) meist nur eine untergeordnete Rolle, wodurch die Recherche auch hier oft erschwert wird.

In den letzten Jahren öffneten sich die staatlichen Sammlungen in Siebenbürgen auch für Ausländer, wodurch Nachforschungen über alte Druckwerke endlich auch für ungarische Bibliothekare möglich wurden. So bemüht sich die genannte Arbeitsgruppe der OSzK im Rahmen der etatmäßigen Möglichkeiten, die wichtigsten Bibliotheken des Landes mit bedeutenden Altbeständen zu besuchen, um die Angaben der dort aufbewahrten und bis 1800 erzeugte Druckwerke zu registrieren. Abgesehen von den Bibliotheken gehören auch einige Archive (zum Beispiel in Kronstadt und Hermannstadt) und Museen (etwa das Brukenthal-Museum in Hermannstadt) zu dieser Kategorie.

Die bisherigen Ergebnisse sind ermutigend. Aus dem 18. Jahrhundert waren vor dem Beginn der Nachforschungen in Siebenbürgen, kaum mehr als 3500 verschiedene Druckwerke registriert. Nach drei Jahren Arbeit überschritt deren Zahl die Grenze von 4000. Außerdem wurden mehrere Tausend Exemplare von bibliographisch bekannten und bereits beschriebenen Drucken erfaßt.

Es ist vielleicht nicht uninteressant, die typographische Produktion im Karpaten-Becken der früheren Jahrhunderte auch statistisch kurz zu betrachten. Es handelt sich dabei im 16. Jahrhundert grob geschätzt um etwa 1000, im 17. Jahrhundert um etwa 5000 und im 18. Jahrhundert um mehr als 30 000 bibliographische Einheiten für das historische Ungarn. Der Anteil der in Siebenbürgen hergestellten Drucke liegt dabei im 16. Jahrhundert bei annähernd 50 Prozent, im 17. Jahrhundert bei unter einem Drittel und im 18. Jahrhundert bei nicht einmal 15 Prozent. Dadurch ist vom Gesichtspunkt der Typographie klar zu erkennen, wie weitgehend und wie negativ die Gebiete des Karpaten-Beckens außerhalb Siebenbürgens durch die Osmanen beeinflußt wurden.

Innerhalb Siebenbürgens zeichnet sich folgendes grobes Bild von der Zahl der bisher aus dem 18. Jahrhundert registrierten Drucke in den wichtigsten Ortschaften ab: Klausenburg 2000, Hermannstadt 1100 und Kronstadt 600. Zwei weitere sächsische Städte, Mediasch und Bistritz, spielen mit jeweils etwa 30 Drucken nur eine untergeordnete Rolle.

Die Arbeitsgruppe der Ungarischen Nationalbibliothek führt mehrere Evidenzen über die bis 1800 hergestellten Drucke des Karpaten-Beckens. So besteht jeweils eine Übersicht nach Verfassern und nach Druckorten sowie nach den Sammlungen, in denen einzelne Exemplare bis heute registriert wurden. Es besteht also grundsätzlich die Möglichkeit, unterschiedliche Bibliographien auf dieser Grundlage zusammenzustellen. Das Ziel wäre natürlich eine anspruchsvolle Beschreibung, wie sie für das 16. Jahrhundert in den RMNy und den „Alten Siebenbürgischen Drucken“ bereits vorliegt, mit Reproduktion der Titelblätter und mit der Angabe aller bekannten Exemplare. Dabei muß aber nochmals betont werden, daß die Zahl der (bislang unbekannten) siebenbürgischen Drucke aufgrund der laufenden Registrierung in den dortigen Sammlungen im Vergleich mit den auf anderen Gebieten des Karpatenbeckens hergestellten Druckwerken relativ gesehen schneller zunimmt. Dadurch würde eine vorzeitige Publikation der bisherigen Ergebnisse eine unvollständige und nicht ganz korrekte Wiedergabe der Verhältnisse darstellen.

Statt dessen könnten möglicherweise Teilbibliographien herausgegeben werden, in denen auf die genaue Beschreibung vorläufig verzichtet würde. Es wäre auch vorstellbar, eine Kurzliste der bisher registrierten Druckwerke unter Angabe aller bekannten Exemplare – etwa nach Druckorten geordnet – zusammenzustellen. Dabei besteht die Möglichkeit, anspruchsvollere Einzelheiten, wie Titelblattreproduktionen, zu berücksichtigen.


[1] Dieses Kronland besaß innerhalb Ungarns eine gewisse Autonomie, und so wurden die Pflichtexemplare aller Druckerzeugnisse, die seit ihrer Gründung 1802 an die Nationalbibliothek abgegeben werden mussten, nicht nach Budapest, sondern nach Agram (Zagreb) geliefert.

[2] Der erste Band (1473–1600) erschien im Verlag der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Budapest 1971, der zweite (1601–1635) 1983 und der dritte (1636–1655) wird im Jahr 2000 veröffentlicht.

[3] Alte siebenbürgische Drucke (16. Jahrhundert). Hg. Gedeon Borsa. Köln u.a. 1996.




TARTALOM KEZDÕLAP