28. Die volkssprachigen Drucke im 15. und 16. Jahrhundert in Ungarn

Gutenberg Jahrbuch 1987. 104–108.

Bei diesem Thema bedarf es zunächst der Klärung einiger Besonderheiten im Karpatenbecken. Im Laufe seiner Geschichte wurde Ungarn zu einem Staat mit einer mehrsprachigen Bevölkerung. Sprachwissenschaftlich gesehen ist diese Mischung ausgesprochen interessant: die drei größten Gruppen der indogermanischen (indoeuropäischen) Sprachfamilie sind hier zu finden. Die Germanen sind durch die Deutschen, die Romanen durch die Rumänen und die Slawen sogar durch mehrere Völker (Slowaken, Slowenen, Kroaten, Serben usw.) vertreten. Dazu kommt die zahlenmäßig weitaus stärkste Sprache des Karpatenraumes: die ungarische.

An dieser Stelle ist nun wieder eine weitere Erklärung notwendig. Es handelt sich beim Ungarischen nämlich um keine indogermanische Sprache, sondern um eine uralische Sprache. Das Charakteristische dieser Sprachen ist einmal die Vokalharmonie, dann daß die Einzahl nach dem Zahlwort steht und die Präpositionalverbindungen mit Flexionssilben bzw. mit Postpositionen ausgedrückt werden. Zu dieser Sprachgruppe gehören – außer den Samojeden – die finno-ugrischen Sprachen. Vor etwa 5 000 Jahren spaltete sich diese Gruppe auf in einen finnisch-permischen und in einen ugrischen Zweig. Zu dem ersten gehören über ein Dutzend kleinere Sprachen. Dabei wird das Finnische von etwa vier Millionen gesprochen und das Estnische von einer Million.

Der ugrische Zweig besteht nur aus drei Sprachen: die Manschi (oder die vogulische), die Chanti (oder die ostjakische) und die ungarische Sprache. Von den beiden ersten hat sich die ungarische Sprache schon vor etwa 3 000 Jahren getrennt. Infolge dessen hat diese ganze Sprachverwandtschaft für die Ungarn von heute keinen praktischen Nutzen: wir verstehen z. B. von der finnischen Sprache genau so wenig, wie die Deutschen z. B. von der singalesischen oder von der armenischen.

Auch räumlich haben sich die Ungarn von allen anderen Sprachverwandten ganz weit nach Südwesten entfernt: eine andere uralische Sprache wird heute über 2 000 km vom Karpatenbecken entfernt gesprochen. Die sowohl ihren Nachbarn artfremde als auch räumlich isolierte ungarische Sprache wird heute von etwa 14 Millionen Menschen gebraucht: von etwa zehn Millionen in Ungarn und von weiteren vier Millionen in den Nachbarländern innerhalb des Karpatenbeckens bzw. in Nordamerika.

In Bezug auf die sprachlichen Verhältnisse im historischen Ungarn versteht man, daß die lateinische Sprache als Amtssprache den verbindenden Faktor bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts bildete. Diese ehemals internationale Sprache der Kirche und der Wissenschaften spielte also im Karpatenraum auffallend lange eine besonders wichtige Rolle.

Ungarn war in seiner Entwicklung gegenüber Westeuropa immer um eine Phase zurück, was sich vor allem eben wegen der lateinischen Amtssprache hemmend auf die Literatur in den Volkssprachen auswirkte. Daraus erklärt sich, daß sowohl der Buchdruck wie auch die Entstehung der volkssprachlichen Drucke in Ungarn – mit dem übrigen Europa verglichen – wesentlich verspätet in Erscheinung trat.

Zu den wenigen Ausnahmen der kurz skizzierten allgemeinen Rückständigkeit gehört der auffallend frühe Beginn der ungarländischen Druckkunst. Das erste Druckwerk erschien am 5. Juni 1473 in der Hauptstadt Buda (Ofen). Es handelt sich um die Geschichte von Ungarn, natürlich in lateinischer Sprache: die „Chronica Hungarorum“. Dadurch wurden z. B. Portugal, Polen, England in der Chronologie der Gründung der ersten Druckereien überholt. Diese Tatsache läßt sich durch die regen italienischen Kontakte von Matthias Corvinus erklären, einem der bedeutendsten ungarischen Könige. Allein so ist es zu verstehen, daß die frühesten Bauten im Renaissancestil außerhalb Italiens eben in Ungarn zu finden sind. Aber die beiden ersten Offizinen von Ungarn in den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts stellten ausschließlich Druckwerke in lateinischer Sprache her.

Damit endete aber auch schon die frühe Blüte der Typographie in Ungarn. Die Blätter der folgenden fünf Jahrzehnte in der Geschichte des ungarischen Druckwesens sind unbeschrieben. Die Bücher für Ungarn wurden im Ausland, meist in Venedig, in der Hochburg der damaligen Druckkunst, hergestellt. Der Bedarf des Landes an gedruckten Werken war damals nicht unbedeutend. Allein in der Hauptstadt waren über ein Dutzend Buchhändler vor der Schlacht von Mohács (1526) tätig, die ihre Bücher – ausschließlich in lateinischer Sprache – unter ihrem Namen im Ausland drucken ließen.

Die Deutschen in Ungarn konnten schon von Anfang an gedruckte Bücher in ihrer Muttersprache aus den westlichen Ländern (Österreich, Bayern usw.) beziehen. Ähnlich sah es mit den Slowaken aus: ihre literarische Sprache war nämlich damals mit der der Tschechen identisch. Die Kroaten konnten sich auch auf Venedig stützen. Jedoch wurde die Verbindung der Serben und der Rumänen mit der Lagunenstadt schon bald durch die Osmanen verhindert. Solange also die Druckereien im Karpatenraum nicht kontinuierlich produzieren konnten, waren auch die Ungarn gezwungen, sich an ausländische Offizinen zu wenden.

Das älteste Druckwerk in ungarischer Sprache soll 1484 in Nürnberg hergestellt worden sein, ein Lied über die erhalten gebliebene rechte Hand des Heiligen Stephan, des ersten Königs von Ungarn (gestorben 1038). (Diese Reliquie wird übrigens noch heute in Budapest aufbewahrt.) Die Informationen über dieses Lied stammen aus dem 18. Jahrhundert. Obwohl seitdem keine weiteren Angaben darüber auftauchten, ist es durchaus nicht unmöglich, daß ein kleines Druckwerk (z. B. ein Einblattdruck) 1484 in Nürnberg für die ungarischen Aachenpilger, die in dieser Stadt und in diesem Jahr in größerer Anzahl zu einem Zwischenaufenthalt hier verweilten, tatsächlich erschien, doch fand sich bis heute keine weitere Spur.

Aus dem eben Skizzierten wird deutlich, warum die ersten Druckwerke, die teilweise in ungarischer Sprache ediert wurden, erst ab 1527 und im Ausland erschienen. Beliebt und verbreitet waren zu dieser Zeit die lateinischen Schulbücher von Christoph Hegendorff und besonders von Sebald Heyden aus Nürnberg. Nach den ersten lateinisch-deutschen Auflagen wurden sie auch durch polnische Ausgaben ergänzt. Dazu kam dann als vierte Sprache Ungarisch. Die beiden viersprachigen Schulbücher zur Erlernung der lateinischen Sprache sind 1527 in der Krakauer Offizin von Hieronymus Vietor erschienen. Die lateinischen Sprachübungen für Deutsche, Polen und Ungarn von Heyden bewährten sich derart als Schulbuch, daß es ebendort innerhalb kurzer Zeit noch mehrmals nachgedruckt wurde. Es mußte den ungarischen Ansprüchen besonders zusagen, denn das Büchlein wurde – nun allein mit ungarischen Erläuterungen – in den neunziger Jahren wieder aufgelegt. Auch das lateinische Wörterverzeichnis von Joannes Murmellius aus Deventer mit deutschen Erklärungen wurde durch ungarische ergänzt und ebenfalls von Vietor veröffentlicht.

Das erste Buch, dessen Sprache rein ungarisch war, erschien ebenfalls 1533 bei Vietor. Es handelt sich um Briefe des Apostels Paulus, die von dem Erasmisten Benedek (Benedikt) Komjäti ins Ungarische übersetzt wurden. Das Oktavbuch mit 236 Blättern ist in elf Exemplaren erhalten geblieben, davon sind aber nur zwei vollständig. Der Schritt zur ungarischsprachigen Ausgabe der ganzen Bibel wurde dann 1538 vollzogen, indem die vier Evangelien, ebenfalls von einem Erasmisten, Gábor (Gabriel) Pesti, übersetzt, in Wien bei Johann Singriener erschienen.

Im selben Jahr wurde die Übersetzung der Fabeln des Aesop auch von Pesti und wieder bei Singriener veröffentlicht, nach einer Empfehlung von Erasmus. Das war das erste Druckwerk in ungarischer Sprache, bei dem die Unterhaltung als Ziel – natürlich parallel mit dem moralischen Nutzen – nun eindeutig zugegeben wurde. Im Jahre 1536 erschien auch das erste kleine, protestantische, geistliche Gesangbuch – und sogar mit Noten – in der Krakauer Offizin von Vietor.

Krakau und Wien waren also die Druckorte der ersten Bücher in ungarischer Sprache. Das war kein Zufall: diese beiden Städte besaßen jeweils eine Universität und etablierte Druckereien. Beide Städte waren damals von der ungarischen Grenze aus binnen einem Tag erreichbar, und so studierten dort viele Ungarn. Dieser Umstand war besonders wichtig, weil die Korrekturen der ungarischen Texte nur von gebildeten Leuten mit dieser Muttersprache durchgeführt werden konnten.

Die nächste Publikation in der Chronologie der ungarischen Druckwerke war die Sammlung der Ordensregel der Pauliner. Inhaltlich weist sie in frühere Jahrhunderte zurück, doch die Volkssprache deutet auf die Bestrebungen der Erscheinungszeit. (Übrigens wurde der Pauliner-Orden in Ungarn gegründet, doch die Hochburg dieses Ordens ist heute Tschenstochau, der nationale Wallfahrtsort von Polen.) Diese ungarischen Ordensregeln sind 1537 in Venedig erschienen, wo – wie oben ausgeführt – auch die meisten der ausschließlich in Latein erschienenen Druckwerke für Ungarn in den früheren Jahrzehnten hergestellt worden sind.

Im Jahr 1538 erschien ein lateinisches Wörterverzeichnis mit ungarischen Erklärungen, wiederum bei Singriener in Wien. Das Büchlein erschien kurz vorher in Nürnberg noch in fünf Sprachen: Lateinisch, Italienisch, Französisch, Tschechisch und Deutsch. Das wurde nun wiederum von Pesti mit der ungarischen Sprache ergänzt. In den folgenden drei Jahrzehnten kam dieses Schulbuch noch mindestens viermal aus der Presse derselben Wiener Offizin: ein gutes Zeichen dafür, daß es sich bewährt hat.

In eben diesem Jahr, 1538, brachte die Krakauer Presse von Vietor sechs ungarische Drucke heraus, ausschließlich protestantischen Inhalts. Doch blieb davon nur ein einziges Bruchstück mit zwei Blättern übrig. Daraus kann man ersehen, wie viele Dokumente der frühen Druckwerke in ungarischer Sprache zugrundegegangen sind. Die Exemplare wurden im ungarischen Sprachgebiet wortwörtlich zerlesen. Die zufälligerweise nicht weggeworfenen Bücher sind dadurch fast ausnahmslos mehr oder weniger lückenhaft. Zwei Quellen sind erhalten, wo solche Werke noch heute auftauchen könnten: einmal kommen bei der Zerlegung alter Einbände manche Bruchstücke ans Tageslicht, zweitens sind komplette, bald nach ihrem Erscheinen dorthin gelangte Exemplare in Sammlungen außerhalb des Karpatenbeckens zu finden. Mangels ungarischer Sprachkenntnisse wurden sie fast nie mehr in die Hände genommen („Hungarica sunt non leguntur“) und sind dadurch bis heute erhalten geblieben. Ein klassisches Beispiel: Von den ungarischen protestantischen Gesangbüchern des 16. Jahrhunderts sind bibliographisch über anderthalb Dutzend Ausgaben bekannt. Es gibt aber keine Ausgabe im Gebiet des historischen Ungarns, das vollständig wäre. Dagegen sind die Exemplare in Breslau, Wolfenbüttel, Stuttgart, Olmütz usw. tadellos erhalten.

Wir kommen nun zum Jahr 1539, das für die Geschichte der ungarischen Typographie besondere Bedeutung besitzt: Es erschien das erste Druckwerk – wenigstens teilweise in ungarischer Sprache – nun endlich selbst in Ungarn. Es handelte sich um eine lateinische Grammatik der ungarischen Sprache. Diese Arbeit war sozusagen ein Nebenprodukt von Joannes Sylvester, als er das ganze Neue Testament ins Ungarische übersetzte. Dabei hat er die eigenartigen und von den klassischen Sprachen so weitgehend abweichenden Regeln seiner Muttersprache erkannt und in diesem kleinen Werk zum ersten Mal veröffentlicht. Seine zweite Entdeckung war die ausgezeichnete Eignung der ungarischen Sprache für die klassischen Versmaße: Im Ungarischen weichen nämlich die kurzen von den langen Selbstlauten ganz eindeutig ab. Diese Möglichkeit wird auch heute genutzt: Historische Dramen werden noch am Ende des 20. Jahrhunderts nicht selten in klassischen Metren verfaßt, die den Schauspielern als Gedächtnisstütze dienen.

Die Ubersetzung und die drucktechnische Herstellung des Neuen Testaments von Sylvester ist schließlich 1541 in der Offizin des Landesrichters Tamás (Thomas) Nádasdy in Sárvár (Westungarn) vollendet worden. Es ist also das erste Buch, das ganz in ungarischer Sprache in Ungarn erschienen ist. Die Veröffentlichung der ungarischen Bibel zieht sich durch die Geschichte des ungarischen Buchdrucks wie ein roter Faden. Die Absicht dazu war mehrmals das Gründungsmotiv von Druckereien in Ungarn, wie es auch der Fall in Sárvár war. Diese Offizin verschwand nämlich bald nach der Veröffentlichung der ersten ungarischen Übersetzung des Neuen Testaments; so war es notwendig, die Krakauer Presse zur Herstellung von ungarischen Büchern auch in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts weiterhin in Anspruch zu nehmen.

Eine neue Etappe begann mit 1550, als endlich auf ungarischem Sprachgebiet eine ständige Druckerei errichtet wurde, in Kolozsvár (Klausenburg), also in der Mitte von Siebenbürgen im Osten von Ungarn. Seit dieser Zeit erschienen nun laufend und in einer immer größeren Zahl Druckwerke in ungarischer Sprache.

Im Jahr 1550 kam hier – unter anderem – die erste ungarische Komödie ans Tageslicht. Auch Sammlungen von ungarischen historischen und biblischen Gesängen mit Noten wurden hier verlegt. Die Offizin von Klausenburg arbeitete mit Antiquatypen. Dadurch ist die frühere Unsicherheit zwischen Fraktur und Antiqua verschwunden: Die Texte in ungarischer Sprache wurden ab Mitte des 16. Jahrhunderts im ganzen Land und konsequent mit Antiquatypen gesetzt.

Auch in Klausenburg ist das Bestreben zu beobachten, eine ungarische Bibel herzustellen. Die Ziele waren aber damals etwas höher gesteckt: man versuchte nicht nur das Neue, sondern auch das ganze Alte Testament – in mehreren Bänden – in ungarischer Sprache zu veröffentlichen. So erschienen in den Jahren 1551-1552 bzw. 1560-1565 mehrere Bände mit biblischem Text. Es kam dadurch jedoch keine komplette ungarische Bibel zustande. Sie erschien zum ersten Mal erst in den Jahren 1589-1590 in der nordungarischen Ortschaft Vizsoly in der Ubersetzung von Gáspár (Kaspar) Károlyi. Der langjährige Leiter und Inhaber der Druckerei von Klausenburg war Gáspár (Kaspar) Heltai, ein geborener Siebenbürger Sachse, der erst als Erwachsener das Ungarische erlernte, aber mit solch großem Erfolg und Eifer, daß er einerseits zu den bedeutendsten Prosaikern der ungarischen Literatur des 16. Jahrhunderts zählt, andererseits durch die konsequente Orthographie seiner Offizin einen ganz wichtigen und bis heute gültigen Einfluß auf die ungarische Rechtschreibung ausübte.

Heltai war aber nicht nur in der Sprache, sondern auch in der Religion anpassungsfähig. Er war anfangs katholischer Priester, trat aber bald zum lutherischen Glauben über. Als Pfarrer der evangelischen Gemeinde von Klausenburg diente er zuerst den deutschen, dann den ungarischen Gläubigen. In den sechziger Jahren ist er calvinistisch geworden und nicht viel später gehörte er den Antitrinitariern an. Solche wiederholten Konversionen waren damals fast ausschließlich in Siebenbürgen möglich. Dieses Fürstentum existierte von Mitte des 16. bis Ende des 17. Jahrhunderts zwischen dem türkischen Reich und dem Imperium der Habsburger. Diese beiden Großmächte verhinderten jeweils gegenseitig, sich Siebenbürgen endgültig und ganz einzuverleiben. In Siebenbürgen existierten auffallend viele Religionen nebeneinander, die sich teilweise auch nach der Muttersprache richteten: Die Orthodoxen sprachen fast ausschließlich rumänisch, die Lutheraner deutsch, die Calvinisten und die Unitarier (Antitrinitarier) ungarisch.

In dem von den Türken besetzten Teil im Süden und in der Mitte von Ungarn gab es keine Druckerei, weil die Lebens- und Vermögensunsicherheit – parallel mit der besonders starken Verarmung – die Existenz einer Offizin unmöglich machten. Der dritte – nördliche und westliche – Teil vom Ungarn gehörte in dieser Zeit den Habsburgern. Hier, im sogenannten königlichen Ungarn, waren die Religions- und auch die Sprachverhältnisse anders gewesen als in Siebenbürgen. Weder von Orthodoxen noch von Unitariern kann man hier sprechen. Die Calvinisten waren auch hier meistens Ungarn, aber zu den Lutheranern gehörten nicht nur die Deutschen, sondern auch ein Teil der Ungarn und der Slowaken.

Der größte Teil der Druckwerke, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Ungarn veröffentlicht wurden, stand im Dienste einer der zahlreichen Religionen. So ist es zu verstehen, daß die Mehrheit der ungarischen Bücher im königlichen Ungarn kalvinistisch, lutherisch oder katholisch, dagegen in Siebenbürgen kalvinistisch oder unitarisch waren.

Auch die Druckereien richteten sich streng nach den einzelnen Religionen. Im 16. Jahrhundert arbeiteten zwanzig Offizinen in 30 ungarischen Orten, mehrere von ihnen wechselten, der unsicheren Verhältnisse wegen, nicht selten ihren Standort. Abgesehen von den Druckereien, die im Dienste der Orthodoxen ausschließlich mit kyrillischen Lettern arbeiteten, und von der Franziskaner-Klosterdruckerei von Wimpassing in Westungarn, wurden ungarische Bücher überwiegend in allen diesen Offizinen hergestellt. Davon ragen aber zwei Druckorte weit heraus: die schon erwähnte Stadt Klausenburg und Debrecen. Dieser Ort – im Osten der großen ungarischen Tiefebene – nahm in vieler Hinsicht eine Sonderstellung ein, da er am Schnittpunkt des königlichen Ungarn, von Siebenbürgen und des von den Türken besetzten Gebietes lag. Besonders in den ersten Jahrzehnten der oben geschilderten Trennung von Ungarn – also um die Mitte des 16. Jahrhunderts war diese Gegend fast zum Niemandsland geworden. Hier fußte die Reformation im helvetischen Sinne Fuß. Bis heute ist diese Stadt die Hochburg der calvinistischen Kirche in Ungarn. Eine Druckerei arbeitete hier seit 1561 kontinuierlich im Dienste dieser Religion. Zeitweilig gehörte diese Gegend auch zum Fürstentum Siebenbürgen.

In Klausenburg und in Debrecen wurden die Bücher – abgesehen von den Werken mit ausgesprochen wissenschaftlichem Charakter, die in Latein erschienen – meistens in ungarischer Sprache gedruckt. Nach dem Tod des ersten Fürsten von Siebenbürgen, Johannes Sigismundus 1571, der sich zu den Unitariern bekannte, war sein Nachfolger der katholische Stephan Bäthory, der aber bald polnischer König wurde. Er wollte die starken konfessionellen Streitigkeiten in Siebenbürgen, die durch die auch von den Türken unterstützte Religionsfreiheit entstanden waren, unterdrücken, um sein eigenes Fürstentum zu stärken. So waren die Druckereien in beiden erwähnten Orten gezwungen, ihr Verlagsprofil zu ändern: statt religiöser Werke stellten sie nun Bücher mit meist weltlichem Inhalt her. Um die geeigneten Werke zu produzieren, engagierte sich Heltai selbst – zum Nutzen der ungarischen Literatur – als Autor.

Es wurde oben bereits erwähnt, daß die Muttersprache – dem früher allgemein herrschenden Latein gegenüber – schon von den Erasmisten bevorzugt wurde. Die Reformation mit allen ihren Schattierungen wollte die Bibel direkt in die Hände der Bevölkerung geben. Dadurch übte sie in der Richtung des Vordringens der Volkssprache in den gedruckten Büchern einen besonders starken Einfluß aus.

Die katholische Kirche existierte am Ende des 16. Jahrhunderts lediglich in drei westlichen Städten (unweit von Wien) und in manchen entlegenen Dörfchen (z. B. bei den Szeklern in Ostsiebenbürgen). Von den zwanzig Druckereien des Landes standen nur zwei im Dienste der römischen Kirche. Die eine in Nagyszombat (Tyrnau) gehörte zu dem hierher geflohenen Kapitel von Esztergom (Gran), die andere, die schon erwähnte Offizin der Franziskaner in Wimpassing (heute im Burgenland), existierte nur einige Jahre lang in Westungarn. Alle anderen Pressen standen im Dienste der Reformation bzw. der Orthodoxie. Aber eben wegen der sprachlich so gemischten Bevölkerung des Karpatenbeckens spielte das Latein auch weiterhin die Rolle einerseits der amtlichen, anderseits der Vermittlersprache. Dadurch war sein Anteil in der ungarländischen Buchproduktion bis zum Ende des 18. Jahrhunderts verhältnismäßig größer als in den meisten Ländern von Europa.

Die retrospektive ungarische Nationalbibliographie ist relativ aktuell und gibt einen ziemlich guten Überblick über die Druckwerke, die in Ungarn bzw. über die Bücher, die im Ausland ganz oder nur teilweise in ungarischer Sprache hergestellt wurden. Diese Bibliographie von 1971 führt insgesamt 888 Nummern vor: sechs aus dem 15. und alle übrigen aus dem 16. Jahrhundert. Fast ein Zehntel dieser Bücher (insgesamt 84) wurden außerhalb von Ungarn gedruckt. Das Verhältnis der ungarländischen und ausländischen Drucke vor 1551 ist 58 zu 42, nach 1550 aber schon 94 zu 6.

Wenn man die Buchproduktion nach Sprachen untersucht, stellt sich heraus, daß das Ungarische und das Lateinische mit 87,5 % führend sind. Das Verhältnis zwischen den beiden Sprachen ist in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts 60 zu 40 zugunsten der ungarischen. Wenn man jedoch die Zahlen der einzelnen Jahrzehnte vergleicht, so ergeben sich ganz verschiedene Werte. In den fünfziger Jahren waren es 37 zu 63, also das Latein noch eindeutig vorherrschend, doch im nächsten Jahrzehnt kommt eine grundlegende Wendung und das Ungarische führt schon 57 zu 43. Ganz weitgehend änderte sich die Situation in den siebziger Jahren: die Proportion ist nun 78 zu 22 für das Ungarische. Doch blieb es nicht dabei, denn in den letzten zwei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts kam es fast zum Ausgleich mit 62 zu 38, bzw. 53 zu 47. Zusammenfassend kann man sagen, daß das Vordringen der ungarischen Sprache dem Latein gegenüber zum ersten Mal in den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts zur Geltung kam, wenn auch mit schwankenden Werten.

Ein Achtel der ungarländischen Druckwerke vor 1601 war weder ungarisch noch lateinisch. Die deutschen Bücher machen etwa fünf Prozent, die kirchenslawischen und die rumänischen zusammen fast so viel aus. Von den klassischen griechischen Texten kommen nur zwei Prozent zusammen, von den kroatischen, slowakischen und slowenischen insgesamt nur ein halbes Prozent. Aus diesen Zahlen kann man die Bestätigung der oben aufgestellten These bereits herauslesen. Die Deutschen, die Slowaken und die Kroaten spielten zahlenmäßig in der Bevölkerung eine größere Rolle, als es in den obigen Prozentsätzen zum Ausdruck kommt, weil sie einen Teil ihres Buchbedarfes doch aus den von den Türken nicht besetzten westlichen Ländern befriedigen konnten. Anders sah es mit den Rumänen aus. Sie konnten die von ihnen benötigten Drucke in ihren Fürstentümern (Walachei und Moldau) so gut wie nicht herstellen. Das übernahm für sie das politisch etwas günstiger gelegene Siebenbürgen, wo in der Zeit zwischen 1544 und 1588 eine Reihe von meistens liturgischen Büchern für Rumänien gedruckt wurde: 23 in altkirchenslawischer Sprache (geeignet auch für die Bulgaren und für die Serben), 11 in rumänischer und 4 in diesen beiden Sprachen.

Man muß aber mit den obigen Zahlen vorsichtig umgehen. Obwohl die bibliographischen Angaben recht zuverlässig sind, handelt es sich dennoch nur um einige Dutzend bzw. einige Hundert von Posten. So sind auch die großen Schwankungen zu erklären. Das beruhigende Gesetz der großen Zahlen kann hier nicht gelten. Auch die Rechnungseinheit, also die bibliographische Nummer, ist nicht in jeder Hinsicht überzeugend, weil ein Einblattdruck dann mit einem großen Bibelband identisch wird. Wenn man dabei noch die in Ungarn ziemlich erfolgreiche Gegenreformation des 17. Jahrhunderts berücksichtigt, kann man von einem endgültigen Sieg der Volkssprache in der gedruckten Literatur kaum sprechen. Zu einem Durchbruch kam es auf diesem Gebiet erst durch die Aufklärung in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts.




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