38. Die Gattungen der Druckwerke von Ungarn bis Mitte des 17. Jahrhunderts

Acta Litteraria Scientiarum Hungaricae 1984. 33–45.

Die bibliographische Erfassung der Druckwerke, die auf dem Gebiet von Ungarn in den vergangenen Jahrhunderten hergestellt wurden, bietet ein ziemlich günstiges Bild. Schon vor 100 Jahren waren die ungarischen Bücher – ungarisch nach Sprache, nach Druckort, nach Verfasser und nach Inhalt vom Beginn der Buchproduktion an bis 1860 zusammengefaßt. Für diese Kategorien verwenden wir den bibliographischen Fachausdruck „Hungaricum“, bzw. in Plural „Hungarica“. Natürlich war es ein persönlicher Erfolg zweier ungarischer Bibliogra­phen (Károly Szabó und Géza Petrik), die das geleistet hatten.

Man will den Verdienst der erwähnten Herren keineswegs schmalern, doch muß man da­zufügen, daß die Zahl der ungarischen Druckwerke in den vergangenen Jahrhunderten ver­hältnismäßig niedrig war. Sie ist mit der Produktion der von uns westlich liegenden Ländern nicht zu vergleichen. Dadurch ist es auch für unsere kleine Arbeitsgruppe in der ungarischen Nationalbibliothek Széchényi möglich geworden, die Arbeit unserer Vorfahrer weiterzufüh­ren und eine relative Vollständigkeit bei der bibliographischen Erfassung der ungarländi­schen Druckwerke vor 1801 zu erreichen. Etwa mit der Verdoppelung der registrierten Ein­heiten die vor 100 Jahren publiziert wurden, sind wir heute so weit, daß etwa 98 von 100 neuent­deckten Exemplaren dieser Kategorie bibliographisch schon bekannt sind.

Dazu haben wir aus den einzelnen Jahrhunderten – ganz grob gerechnet – in unsere Regi­ster die folgende Menge aufgenommen: 15–16. Jahrhunderts – 1000; 17. Jahrhunderts – 5000; 18. Jahrhunderts – 25 000 Titeln. Es fällt also sofort auf, daß sich die Zahl der biblio­graphischen Einheiten mit der Zeit in den einzelnen Jahrhunderten verfünffacht. Die Zahl der schon erschlossenen Exemplare beträgt heute insgesamt über 150 000. Die Menge der noch nicht erfaßten Exemplare beläuft auf einige Zehntausende, doch rechnen wir mit der Zeit höchstens noch mit Hunderten von unbekannten, firmierten Druckwerken, die vor 1801 in Ungarn hergestellt wurden.

Zur Identifizierung der Druckwerke ohne Impressumdaten braucht man eine vollkom­mene Rekonstruktion der typographischen Materialien aller Offizinen in Ungarn. Die ersten Schritten dazu – vor allem aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts – wurden schon gelei­stet, doch zur vollkommenen Durchführung dieser großen Aufgabe braucht man wahrschein­lich noch enorm viele Arbeit und nicht wenige Zeit.

Unsere Materialsammlung werden wir natürlich in redigierter Form publizieren. Die erste Periode (1473–1600), als erster Band der RMNy (die Abkürzung von „Régi Magyarországi Nyomtatványok”, d. h. alte ungarländische Druckwerke), wurde schon im Jahre 1971 mit 888 Titeln veröffentlicht. Der zweite Band (1601–1635) wurde schon imprimiert und erscheint in der nähesten Zukunft, der wird 764 Einheiten erhalten. Die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts wird mit etwa weiteren 700 Drucken in einem dritten Band dieser Unternehmung beendet sein. Zur Bearbeitung der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts braucht man noch weitere Bände und weitere Jahrzehnte.

Aus dem 18. Jahrhundert wurden von Szabó und Petrik etwa 12 000 Titel aus Ungarn re­gistriert. Dazu erschien ein Ergänzungsband im Jahre 1971 mit 7660 Titeln. Mehrere Tau­sende von weiteren, früher unbekannten Einheiten befinden sich schon in unseren Registern. Ein neuer Band dieses Materials wird noch in diesem Jahrzehnt erscheinen. Anschließend wird das Projekt mit der Zusammenstellung und bibliographisch anspruchsvoller Beschrei­bung der Buchproduktion des 18. Jahrhunderts weitergeführt. Auch diese Bände werden na­türlich im Druck erscheinen.

So schaut also die heutige Situation der Bibliographie der alten ungarischen Druckwerke aus. Dadurch ist es möglich auch eine relativ befriedigende Durchsicht über die mehr als 2000 Drucke von Ungarn bis Mitte des 17. Jahrhunderts auf Grund ihrer Gattungen zu geben.

Auf dem Gebiete von Ungarn wurde dal erste Druckwerk schon im Sommer 1473 von Andreas Hess in Buda hergestellt. Dadurch liegt dal Land in der chronologischen Reihe der Gründung der ersten Offizin an der vornehmen sechsten Stelle in Europa. Ihm gehen nur Deutschland, Italien, die Schweiz, Frankreich und die Niederlanden vor. Zu Pfingsten 1473, als der Jahresmarkt in der Hauptstadt von Ungarn stattfand, erschien die Chronica Hungaro­rum, also die Geschichte der Ungarn in lateinischer Sprache (GW 6686). Das erste gedruckte Produkt in diesem Land war also ein Profanwerk, was damals keineswegs üblich war. Das zweite Druckwerk ohne Jahreszahl wurde aus je einer Arbeit des Basilius Magnus und Xe­nophon zusammengesetzt (GW 3702).

Die beiden Schriften hat der aus Rom nach Ungarn gekommene Hess eher den Humani­sten, als den Theologen bestimmt. Die frühe und hoffnungsreiche Entfaltung des Humanis­mus in diesen Jahren brach jedoch in Ungarn – wenigstens vorübergehend – aus politischen Gründen zusammen. Die wichtigsten Persönlichkeiten des ungarischen Humanismus – unter der Leitung von Joannes Vitéz, Kardinal und Primas von Ungarn und von seinem Neffen, Ja­nus Pannonius, Bischof von Fünfkirchen (Pécs) – stellten sich in Opposition gegen den jun­gen König, Matthias Corvinus. Der Argwohn des Herrschers warf einen Schatten verallge­meinert auf alle Humanisten in Ungarn. Dadurch ist es zu verstehen, daß die erste Druckerei in Ungarn so rasch und so spurlos untertauchte.

Am Ende 1476 heiratete der ungarische König Beatrice von Aragonie. In der Begleitung der jungen Prinzessin aus Neapel kam eine ganze Schar von Leuten aus Italien ins Land. Man nimmt an, daß auch der unbekannte Drucker, der in den Jahren 1477–1480 in Ungarn arbei­tete, gehörte zu dieser Gruppe. Das typographische Material dieser Offizin stammte von Matthias Moravus, der damals in Neapel als Drucker tätig war. Von diesem anonymen Typo­graph – in der Fachliteratur heißt er Drucker von Antoninus Florentinus „Confessionale“ 1477 (GW 2108) – kennt man nur drei Produkte, die eher für die Geistlichkeit als den Huma­nisten hergestellt geworden sind: ein Handbuch für die Beichtväter, ein Ablaßbrief für Preß­burg (Pozsony) und eine Lebensgeschichte von Hl. Hieronymus. Es sieht also so aus, daß der aus Italien gekommene Typograph sowohl dal Interesse und die Kaufkraft als auch die Zahl der potentiellen Leser wesentlich überschätzt hat. Wahrscheinlich darum verschwand auch diese Offizin mit 1480.

Beide Buchdrucker des 15. Jahrhunderts, die in Ungarn tätig waren, stammten also aus Italien. Wahrscheinlich stützten sich ihre Vorkalkulationen auf italienischen Erfahrungen, die damals im Donaubecken keineswegs gültig waren. So kann man sagen, daß die neue Kunst von Gutenberg in Ungarn nicht nur auffallend früh, sondern vielleicht sogar viel zu früh an­gesiedelt wurde.

Nach dieser Frühblüte der Typographie in Ungarn kam eine Zäsur von etwa einem halben Jahrhundert. In dieser Zeit arbeitete keine Druckerei im Lande, obwohl der Buchbedarf von Ungarn sich in dieser Periode langsam aber sicher erhöhte. Der größte Teil dieses Bedarfs wurde zumeist durch die Buchhändler und Verleger von Ofen (Buda) befriedigt. Etwa ein Dutzend von solcher Leute ist bekannt, die noch vor dem Schlacht von Mohács (1526) mehr als Hundert Publikationen (Missalen, Breviere, Schulbücher usw.) in ausländischen Drucke­reien – meistens in Venedig – herstellen ließen.

In dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts – unter dem Einfluß der Reformation – ent­stand ein immer größerer und größerer Anspruch auf Druckwerken in ungarischer Spra­che. Dazu wurden vor allem die Druckereien von zwei Universitätsstädten in Anspruch ge­nom­men: Wien und Krakau (Kraków). Beide lagen damals unweit von der ungarischen Grenze und es gab dort immer Studenten, die zur Korrektur der für alle anderen Leute un­durchdringlichen ungarischen Sprache fähig waren. Etwa 30 solche Publikationen lind aus dieser Periode und aus diesen Städte heute bekannt, darunter die ältesten Druckwerke in unserer Sprache aus dem Jahre 1527 aus Krakau. Diese Pub­likationen waren meistens für den Schulgebrauch bestimmt: Katechilmen, Sprach­bücher, einzelne Bücher der Bibel, Wörterbücher usw.

Die Neuansiedlung der Typographie in Ungarn wurde besonders durch zwei wichtige Faktoren bevorzugt: einerseits durch den rasch erhöhten Buchbedarf infolge der Reformation, anderseits durch die Isolierung einiger Landesteile durch Unterbrechung der früheren Ver­kehrslinien in der großen ungarischen Tiefebene von den Türken nach 1526. Dadurch ist es zu verstehen, daß sich die Entwicklung des Druckwesens zuerst eben in Siebenbürgen ent­faltet hat, welche Region sonst zu den unentwickelsten Gegenden von Ungarn gehörte. Doch war einerseits die Isolierung hier am spürbarsten, anderseits war die Reformation in den Städten der dortigen Deutschen, der sogenannten Sachsen am frühesten wirksam geworden.

Unter solchen Umständen hat eine Offizin im Jahre 1529 ihre Tätigkeit in Hermannstadt (Szobon) aufgenommen. Leider sind ihre Produkten nur in der Fachliteratur erhalten geblie­ben: eine lateinische Schulgrammatik (RMNy 9) und ein Pestregiment (RMNy 10). Nun ist wiederum eine Lücke von fast einem Jahrzehnt zu finden, die gleichzeitig die letzte in der Chronologie des Druckwesens von Ungarn ist. Im Jahre 1539 wurde eine Druckerei mit einer Lebensdauer von mehreren Dezennien in einer anderen Stadt der siebenbürger Sachsen in Kronstadt (Brassó) von dem bedeutenden Späthumanist, Johann Honter gegründet.

Dieser vielseitige Mann machte – unter anderen – auch die neue schwarze Kunst von Gutenberg sich zu eigen. Der gebürtige Kronstädter brachte seine diesbezüglichen Kenntnisse aus der Basler Offizin von Henricpetri nach Hause. Unter seiner Leitung stellte die Kron­städter Druckerei bis zu seinem Tod im 1549 etwa drei Dutzende von meistens kleinen Bü­chern ausschließlich in Oktavformat her. Die überwiegende Zahl dieser Publikationen bilden Schulbücher in engstem Sinne, die von Honter anspruchsvoll – meistens von klassischen Autoren (Aristoteles, Cicero, Plato, Seneca usw.) – ausgewählt und zusammengestellt wur­den. Nicht allein aus diesem mittelbaren Zeichen, daß heißt aus den gedruckten Werke kann man die Wirkung der Reformation in Kronstadt in diesem Jahrzehnten erkennen. Honter war auch an dieser religiösen Erneuerung aktiv beteiligt, war sogar durch sein hohes Ansehen maßgebend. So druckte er in seiner Offizin die von ihm zusammengestellte und für die Glau­benserneuerung grundlegende „Reformatio ecclesia Coronensis“ (RMNy 52) im Jahre 1543, der nach vier Jahren die Kirchenordnung aller Deutschen in Siebenbürgen (RMNy 68) folgte. Parallel damit veröffentlichte Honter auch eine Agenda für die Seelsorger und Kirchendiener im Siebenbürgen (RMNy 67). Auch das alltägliche Leben der neuen Kirche bekam von Honter’s Presse bald eine Unterstützung: schon 1543 erschien bei ihm die Geistlichen Lieder von Andreas Moldner (RMNy 53). Auch im Schulunterricht spielte die Musik eine wesentli­che Rolle, weshalb Honter die „Odae cum harmoniis ex diversis poetis in usum ludi literari Coronensis decerptae“ im Jahre 1548 mit Noten (RMNy 71B) herstellte.

Auch der Katechismus von Luther wurde veröffentlicht, aber – nach unseren heutigen Kenntnissen erst auffallend spät – 1548 (RMNy 72). In diesem Zusammenhang ist es not­wendig nochmals zu betonen, daß Honter die Reformation in der Schweiz kennengelernt hat. Jedoch veröffentlichte er – als Humanist der Reformationszeit – den „Haereseon catalogus von Aurelius Augustinus“ (RMNy 29) parallel mit der „Sententiae“ (RMNy 30) schon im er­sten Jahr seiner Drucktätigkeit.

Neben lateinischen und griechischen Grammatiken (RMNy 33, 36) stellte Honter auch die wichtigsten Teile des römischen Privatrechts zusammen (RMNy 35). Wir sind aber noch überhaupt nicht am Ende seiner vielseitigen Tätigkeit, die – wenigstens in Ungarn – in dieser Hinsicht alleinstehend ist. In einem orthodoxen Kloster in der Moldau fand er einen unter dem Namen des Mönches von Ankyra, Neilos überlieferten griechischen Originaltext. 1540 druckte Honter diesen Text in Kronstadt ab, wodurch die einzige Überlieferung allgemein zugänglich gemacht wurde.

Und „last but not least“ soll man noch über seine „Rudimenta cosmographica“ sprachen. Dieses geographisches Schulbuch hat Honter in Versen zusammengestellt, das dadurch den Kindern mnemotechnisch außerst günstig war (RMNy 44). Im nächsten Jahr (1542) ist das Büchlein in seiner endgültigen Form, mit 13 Mappen ergänzt, erschienen. Die vielseitige Be­gabung Honters wird auch dadurch bezeugt, daß er die Holzschnitte auf einem sehr hohen künstlerischen Niveau eigenhändig hergestellt hat (RMNy 50). Die „Rudimenta“ ist ein „Bestsellere“ geworden und hat binnen einigen Jahrzehnten Dutzende von Nachdrucken in ganz Europa – von Antwerpen bis Krakau – erfahrt.

Es ist natürlich unmöglich, in Rahmen dieser Untersuchung alle Offizinen von Ungarn so genau zu behandeln, allein bei der ersten bedeutenden Presse des 16. Jahrhunderts konnte man sich das leisten. In den folgenden muß man – im Laufe des Fortganges der Zeit – den Stoff immer großzügiger behandeln.

Es wurde bereits erwähnt, daß die Druckwerke in ungarischer Sprache im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts in Krakau und in Wien hergestellt wurden. Dex Anspruch auf solche Publikationen, vor allem auf ein Neues Testament in ungarischer Sprache, war das Grund­motiv zur Gründung auch einer Druckerei in West-Ungarn durch Tamás Nádasdi, der damals schon zu den mächtigsten Magnaten des Landes gehörte. Bei der Vorbereitung der Bibel­übersetzung ist – fast als Nebenprodukt – die erste Grammatik der ungarischen Sprache von János Sylvester im Jahre 1539 von dieser Offizin in Sárvár veröffentlicht. Das Neue Testa­ment ist auf ungarisch erst zwei Jahre später hier erschienen. Kein weiteres Produkt dieser Druckerei ist uns bekannt.

Genau in der Mitte des 16. Jahrhunderts (1550) wurde die Druckerei in Klausenburg (Kolozsvár) im geographischen Nabelpunkt von Siebenbürgen gegründet. Auch hier ist die Bestrebung zu merken, eine ungarische Bibel herzustellen. Die Ziele waren aber diesmal et­was höher gesteckt: man versuchte – wenigstens in mehreren Bänden – nicht nur das Neue, sondern auch das ganze Alte Testament in ungarischer Sprache zu veröffentlichen. So er­schienen hier die fünf Bücher von Moses im Jahre 1551, gefolgt von drei weiteren Bänden aus dem Alten Testament noch in diesem, bzw. im nächsten Jahr. Auf eine Fortsetzung mußte man aber bis 1560 warten.

Die neue Presse von Klausenburg lag jedoch auch in der Zwischenzeit nicht still. Schon 1550 wurde hier eine ganze Reihe von Büchern – vor allem in ungarischer Sprache – ge­druckt. Ein klares Zeichen für das Gründungsmotiv: man brauchte eine Druckerei im ziem­lich isolierten Siebenbürgen, um Druckwerke für die Ungarn herzustellen, weil in Kronstadt – abgesehen von den klassischen (lateinischen und griechischen) Sprachen – zu dieser Zeit nur deutsche Bücher veröffentlicht wurden. Es sei hier erwähnt, daß die ersten Werke in ru­mäni­schen Sprache ab 1544 in Hermannstadt, in einer mit kyrillischen Typen ausgestatteten Offi­zin gedruckt wurden. Es ist leicht, darin eine Parallelerscheinung zu den frühen ungari­schen Drucken zu erkennen. In beiden Sprachen wurden die Bücher zuerst in einer auswärti­gen Nachbarstadt hergestellt, die in typographischer Hinsicht auf einem höheren Niveau stand: die ungarischen ab 1527 in Krakau und in Wien, die rumänischen ab 1544 in Her­mannstadt. Zurückkehrend auf Klausenburg ist es notwendig die Wichtigkeit dieser Offizin bei der Her­stellung von Druckwerken in ungarischer Sprache nochmals zu betonen: sie wur­den hier und ab 1550 kontinuierlich in Ungarn veröffentlicht. Gleich im ersten Jahr ist hier – unter anderen die erste ungarische Komoedie (RMNy 88) erschienen. Auch Sammlungen von ungarischen historischen (RMNy 109) und biblischen (RMNy 108) Gesangen mit Noten wurden hier wäh­rend der ersten Jahren der Druckerei verlegt. Die Offizin von Klausenburg arbeitete mit Anti­quatypen. Dadurch ist die frühere Unsicherheit zwischen Fraktur und Anti­qua verschwunden: die Texte in ungarischer Sprache wurden also ab Mitte des 16. Jahrhun­derts im ganzen Land stets und konsequent mit Antiquatypen gesetzt.

Aber nicht nur vom literarischen, sprachlichen und typographischen Aspekt, sondern auch von konfessionellem Gesichtspunkt aus ist die Tätigkeit dieser Presse äußerst interes­sant. An ihrem Beispiel können wir die diesbezügliche Entwicklung in damaligen Ungarn sehr gut beobachten. Die im Schoß der einheitlichen, mittelalterlichen, katholischen Kirche geborenen Leute bekannten sich in der Mitte des 16. Jahrhunderts auch hier bereits zu der lutherischen Kirche. Doch bald ist die Auffassung in Klausenburg immer radikaler geworden: ab 1559 wurden schon Druckwerke im Dienste der kalvinistischen Einstellung (RMNy 155) herge­stellt. Das war aber nur eine Übergangsperiode von etwa sieben Jahren: ab 1566 setzte sich die stürmische Entwicklung wieder kräftig fort und tauchten schon die Publikationen der An­titrinitarier eine nach der anderen auf.

Diese fast einmalig rasche und vielfältige Wandlung ist sowohl bei dem siebenbürgischen Fürst, Johann Sigismund als auch bei dem Leiter und Inhaber der Klausenburger Druckerei, Gáspár Heltai zu beobachten. Der gebürtige Sachse aus Süd-Siebenbürgen – früher Kaspar Helth genannt – ist zum Meister der ungarischen Kunstprosa des 16. Jahrhunderts geworden.

Interessanterweise wurde er dazu durch die Umstände gezwungen: 1571 nach dem früher Ableben des jungen Fürsten mit starken antitrinitarischen Neigungen, ist die Situation unter seinem Nachfolger, István Báthori auf einmal anders geworden. Báthori faßte bereits das Kö­nigtum von Polen ins Auge und wollte die konfessionellen Streitigkeiten unterdrücken. Durch sein Verbot war Heltai gezwungen in seiner Druckerei statt religiöser Werke nun Druckwerke mit weltlichem Inhalt herzustellen. So erschien eine ganze Reihe von solchen Publikationen während seiner letzten Jahre. Nach seinem Tode im Jahre 1574 setzte seine tüchtige Witwe die Herstellung einzelner Veröffentlichungen genau in diese Richtung weiter, doch versank diese wichtige Offizin unter der Leitung des jüngeren Heltai langsam aber si­cher in der Be­deutungslosigkeit.

Nicht weniger als elf Ortschaften in Ungarn kann man hier aufzählen, wo in den Jahren zwi­schen 1558 und 1577 eine Druckerei gegründet wurde, wo – vor allem – ungarische Bü­cher im Dienste der Reformation hergestellt wurden (Óvár, Kassa, Debrecen, Várad, Gyula­fehérvár, Abrudbánya, Komjáti, Nedelic, Alsólindva, Sempte, Pápa). Abgesehen von der Stadt Debrecen, wo ab 1561 die Druckpresse ständig im Betrieb war, arbeiteten sie in allen anderen Ortschaften höchstens fünf Jahre lang. Lutheraner, Kalvinisten und Antitrinitarier – meistens selbst Geistli­chen (Huszár, Bornemisza, Karádi usw.) – waren die Typographen die­ser Offizinen. Sie sahen in ihren Druckereien vor allem ein wirksames Mittel für die Verbreitung ihrer religiösen Auf­fassung mit Unterstützung von feudalen Mäzenen. Doch fin­det man bei einigen, die dabei auch für Gewinn gearbeitet haben (z. B. Heltai), schon bürger­liche Cha­rakterzüge. Die Religion blieb aber auch für diese Leute weiterhin ein wichtiges Motiv.

So ist es zu verstehen, daß die meisten Produkten dieser Offizinen unmittelbar oder mit­telbar mit der Religion zusammenhingen. Katechismen, Predigten, Streitschriften, Gesangbü­cher, Gebetbücher, Meditationen waren die Publikationen, die die einzelnem Konfessionen zu ihrem täglichen Leben und in ihren Glaubeskämpfen brauchten. Parallel mit diesen bilde­ten die Schulbücher die zweite, schon bescheidenere Kategorie. Einen nicht geringen Teil der schönen Literatur bildeten Verserzählungen biblischen und durchaus moralisierenden Inhalts. Geringzähliger waren die literarischen Werke von ausgesprochnem weltlichen Charakter. Handbücher des ungarischen Rechtwesens und die frühesten Kalender bilden auch eine wichtige Gruppe.

Der ständige Druckort Debrecen, im Osten der großen ungarischen Tiefebene, nahm in vielen Hinsicht eine Soderstellung ein. Seit etwa der Mitte des Jahrhunderts war die Mitte und der Süden von Ungarn von den Türken besetzt, im Osten bestand vorübergehend das kleine Fürstentum Siebenbürgen zwischen den zwei Wältmächten vom Kaiser und Sultan. Die schmalen Landesteile von Norden und von Westen gehörten den Habsburgern. Wo diese drei größeren Regionen des Landes sich miteinander getroffen haben, liegt die Stadt Debre­cen. Besonders in den ersten Jahrzehnten der oben geschilderten Trennung des Landes war diese Gegend fast zu einem Niemandsland geworden. Hier faßte die Reformation in helveti­schen Sinne ihren Fuß. Bis heute ist diese Stadt die Hochburg der kalvinistischen Kirche in Ungarn. Eine Druckerei arbeitet hier seit 1561 im Dienste dieser Religion. Parallel mit Klau­senburg wurde es auch hier zumeist in ungarischer Sprache publiziert. Mit der Zeit gehörte auch diese Gegend zum Fürstentum Siebenbürgen. Auch eine Ähnlichkeit im Wechsel der Gattungen der Druckwerke ist hier mit Klausenburg zu beobachten: ab 1571 werden mehr Werke von weltlichen Charakter erscheinen. Doch waren die Drucke religiösen Inhalts durchwegs und konsequent kalvinisch gesinnt gewesen.

Kronstadt haben wir bereits erwähnt. Hier übernahm Valentin Wagner die geistliche und typographische Erbe von Honter. In den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts brachte diese Offizin noch recht interessante und anspruchsvolle Produkte heraus. Es erschien das kleine Buch von Paul Kyr im Jahre 1551, das in lateinischer Sprache gesundheitliche Ratschläge gab (RMNy 89), 1557 die Ausgabe des Neuen Testaments in lateinischer und griechischer Sprache nach dem Text von Erasmus (RMNy 138). Besonders ikonographisch ist beachtens­wert die in Holz geschnittene Serie des Todestanzes mit den lateinischen Versen von Wagner aus dem Jahre 1557 (RMNy 142). Anschließend daran, nach seinem Tod ist das Niveau und auch die Bedeutung der Typographie von Kronstadt tief gesunken.

Wegen der Nachbarschaft mit dem orthodoxen Rumänen stellte Wagner 1550 einen lu­therischen Katechismus in griechischer Sprache zusammen (RMNy 82). Diese Missionsbe­mühung war ganz eigenartig, aber nicht ganz erfolglos. Die Reformation – auch in kalvini­scher Form – konnte sich auch bei den sonst konsequent orthodoxen Rumänen – vorüberge­hend und beschränkt – durchsetzen. Einige liturgische Bücher für diese Kirche, die von Co­resi mit kyrillischen Typen in Kronstadt zwischen 1561 und 1570 hergestellt wurden (RMNy 168, 188, 274, 275), sind Zeugen dafür. Auch andere Typographen bemühten sich die An­sprüche der orthodoxen rumänischen Kirche auch in der Moldau und in der Walachei mit li­turgischen Büchern in alt-kirchenslawischer und in rumänischer Sprache zu befriedigen.

Im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts war die Gründung der einzelnen Offizinen in Un­garn durch ganz verschiedene Motive durchgeführt. Zum ersten Mal meldete sich die Gegen­refor­mation im Jahre 1578 mit der Gründung einer Druckerei in Tyrnau (Nagyszombat) und später – ab 1593 – mit bescheidener Kapazität bei den Franziskanern zu Wimpassing (Vimpác) im heu­tigen Burgenland. Zum ersten Mal entstanden nun Druckereien im soge­nannten königlichen Ungarn (Bartfeld, Neusohl), also wo die Habsburger als Könige von Ungarn anerkannt waren, welche Offizinen vor allem nicht für die Bevölkerung in ungari­scher Sprache ihre Tätigkeit ausüben wollten. Diese Typographen (Gutgesell, Scholtz und Manlius) waren schon ausgespro­chene Bürger, die doch unter feudalen Verhältnissen, unter Kontrolle, bzw. mit Unterstützung eines Magnaten oder einer Freistadt arbeiteten. Dadurch war ihre auf Gewinn gezielte Tätigkeit beschränkt. Von den Habsburgern wurden allein die Lutheraner unter den verschiedenen Strö­mungen der Reformation akzeptiert. So konnten die Kalvinisten und die Unitarier nur in jenen Gegenden eine Presse haben, welche nicht unmit­telbar unter der Kontrolle der Habsburger, sondern eher des Fürsten von Siebenbürgen stan­den.

Die größte typographische Leistung in Ungarn zu dieser Zeit war die Herstellung der er­sten vollständigen Bibel in ungarischer Sprache in den Jahren 1589–1590. Die Übersetzung wurde von Gáspár Károlyi geleitet. Unweit von seinem Wohnort in der Ortschaft Vizsoly (Nordost-Ungarn) arbeiteten die Druckpressen, die die starken Folianten dieser Bibelausgabe hergestellt haben. Die Streite der Religionen dauerten auch in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts an. Das relativ noch immer recht schwache Bürgertum – vor allem in den Frei­städten – vor dem königlichen Ungarn meldete sich langsam schon mit der Publikation von Gelegenheitsdrucken für die großen Ereignissen der alltäglichen Lebens: Geburt, Heirat und Tod. Auch einige in den Städten wirkende Dichter gaben ihre Verse in gedruckter Form aus (z. B. der Poet und Richter von Kaschau, Joannes Bocatius in lateinischer, oder die Regens­burger Schulmeisterin, Magdalene Heymairin in deutscher Sprache). Es ist jedoch charakteri­stisch, daß die Gedichte zu Lebzeiten des bedeutendsten ungarischen Dichters dieser Zeit, Bálint Balassi nur handschriftlich verbreitet wurden.

Das 17. Jahrhundert fand Ungarn vielleicht in der tiefste Not seiner Geschichte. Nach der Teilung des Landes vor etwa 50 Jahren zwischen den Türken, dem siebenbürgischen Für­stentum und dem königlichen Ungarn, tobte nun der 15-jährige Krieg zwischen Kaiser und Sultan. Natürlich bedeuteten diese Jahre auch einen Tiefpunkt für die Tätigkeit der Druckereien: an der Jahrhundertwende arbeiteten allein sechs Offizien: in Klausenburg (ab 1550), in Debrecen (ab 1561), in Hermannstadt (die dritte Gründung ab 1575), in Bartfeld (ab 1577), in Tyrnau (ab 1578) und die Druckerei des Manlius (ab 1582). Auch die Strei­tigkeite zwischen den einzelnen Religionen gingen weiter. In jeder Hinsicht liefern also diese Jahrzehnte ein trostloses Bild. Unter solchen Verhältnissen kann man kaum mit einer Entwicklung rechnen.

Erst nach dem 15-jährigen Krieg läßt sich eine kleine Verbesserung in der Typographie beobachten. Die katholische Kirche gründete in Preßburg (Pozsony) eine neue Druckerei statt der schon veralteten Offizin von Tyrnau und ein bürgerlicher Drucker siedelte sich in der Stadt Kaschau (Kassa) in Ober-Ungarn an. Im nächsten Jahrzehnte begann eine neue Offizin ihre Tätigkeit auch in Leutschau (Lõcse), welcher Druckort später vorübergehend zu den wichtigsten in ganz Ungarn gehörte. Nach der Neugründung der Druckerei zu Hermannstadt im Jahre 1575 entstand auch in Kronstadt, der anderen Stadt der Siebenbürger Sachsen genau ein halbes Jahrhundert später (1625) eine Druckerei, die ihre Tätigkeit in den späteren Jahr­hunderten weiterhin ununterbrochen ausübte.

Besonders aufschlußreich ist die Geschichte der oben erwähnten katholischen Offizin von Preßburg. Nach einer kurzen Atempause flammten die Kämpfe in Ungarn wieder auf, dies­mal – sozusagen als Randerscheinung des dreißigjährigen Krieges – zwischen Siebenbürgen und den Habsburgern. Im Laufe dieser Kämpfe drang der größte Fürst von Siebenbürgen, Gábor Bethlen bis in die Gegend von Wien vor. Dabei beschlagnahmte der kalvinische Fürst die katholische Offizin, die inzwischen aus Preßburg übersiedelt schon in Tyrnau arbeitete. Vorübergehend war dann diese Druckerei in Kaschau, in der wichtigsten Stadt Bethlens in Ober-Ungarn tätig. Später zug sich Bethlen samt der Druckerei in seine siebenbürgische Re­sidenzstadt Weißenburg (Karlsburg-Gyulafehérvár) zurück. Hier wurde dann eine fürstliche Offizin aus der Ausrüstung einer ehemaligen katholischen Druckerei gegründet. Die wech­selhafte Geschichte dieser Offizin konnte man allein durch die Rekonstruktion des typogra­phischen Materials aus vier Druckorten feststellen, die früher bereits als selbständige Drucke­reien registriert wurden.

Es ist nicht leicht die bereits skizzierte Wandlung der Gattungen in der ungarischen Buchproduktion zwischen 1551–1600 mit der neuen Situation zwischen 1601-1650 zu ver­gleichen. Abgesehen von den Druckwerken, die man in mehrere Kategorien einordnen kann oder muß, gibt es auch viele, die Janusgesicht haben: z. B. die Erbauungsliteratur in Vers­form. Der zeitgleichen Gattungsnorm na.ch wären sie wohl zum religiösen Schrifttum zu rechnen, obwohl wir heute lieber als „schöne Literatur“ bezeichnen würden. Die Grenzen zwischen Religion und Profanleben bildeten damals sowieso kein Problem, weil man sie zwi­schen den zwei Gebieten einfach nicht ziehen wollte. Darum ist es heute unrichtig die dama­ligen Druckwerken nachträglich – oft sogar willkürlich – in heutige Fachkategorien einzu­ordnen. So haben wir uns bemüht in den ersten zwei Bänden unserer retrospektiven Natio­nal­bibliographie ein Sachregister möglichst nach der zeitgenössischen Auffassung auszu­bauen. Wenn die etwa 70 solche Gattungen nach Inhalt (z. B. Bibel) und nach Form (z. B. Vers) viel zu umfangreich waren (z. B. Streitschriften), so wurden sie in weitere logische Untergruppen (z. B. nach Religionen) eingeteilt. Wir haben dadurch versucht die Verwei­sungsnummer möglichst nicht über ein-zwei Dutzende anwachsen zu lassen, um die Über­sichtlichkeit nicht zu verlieren.

Wenn man nach den obigen, ziemlich vielseitigen Vorbehalten die Sachregister der ersten zwei Bände unserer Bibliographie aus der Periode 1551–1600, bzw. 1601–1635 vergleicht, bekommt man ungefähr das folgende Bild. Es hat sich – in einigen Fällen – sowohl zugun­sten oder zum Nachteil der einzelnen Gattungen als auch hinsichtlich der Religionen und der Sprachen geändert. Einige Gattungen schrumpften zusammen, andere – manchmal überhaupt nicht unbedeutenden – entstanden ganz neu. Dafür einige Beispiele! Aus dem dritten Viertel des 16. Jahrhunderts sind insgesamt nur 9 Kalender in ungarischer Sprache bekannt, aus dem nächste Viertel schon 54, wozu man noch einen deutschen und 5 lateinische rechnen kann. Im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts wurden – unserem heutigen Wissen nach – 89 ungarische und weiterhin 10 deutsche Allmanache in Ungarn hergestellt.

Die Landtagsartikel wurden bis Anfang des 17. Jahrhunderts außerhalb von Ungarn (in Wien und in Prag) gedruckt. Ab dieser Zeit aber schon auch im Lande. Dabei ist es zu er­wähnen, daß die amtliche Sprache des königlichen Ungarns die lateinische, dagegen die des Fürstentums von Siebenbürgen die ungarische war. Paralell mit den obigen starben auch ei­nige Gattungen aus. So z. B. nach 1588 wurden in Siebenbürgen – vorübergehend aber jahr­zehntenlang – keine Druckwerke mit kyrillischen Buchstaben für die Rumänen hergestellt, dadurch verschwanden ihre liturgische Bücher von der bunten Palette der Produkten von den ungarländischen Offizinen.

In manchen Fällen ist es leicht, die durch die Geschichte stark bestimmte Verschiebung zwischen der einzelnen Religionen und Sprachen eindeutig festzustellen. In den ersten beiden Bänden unserer Bibliographie sind 120, bzw. 75 Streitschriften der einzelnem Religionen zu finden. Aber nicht nur in den Gesamtzahlen, sondern auch in der Unterteilung ist eine Um­gruppierung zu erkennen. Das Verhältnis zwischen den ungarischen und den anderssprachi­gen Streitschriften hat sich von Eins zu Zwei und Vier zu Eins verschoben. Die Diskussionen wurden also später statt dem Latein eher auf ungarisch und dadurch also auf Lokalebene aus­getragen. Auch die Reihenfolge der einzelnen Konfessionen sieht in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts anders aus, als im ersten dritte des 17. Früher gab es 39 lutherische, 33 kal­vinische, 31 antitrinitarische, 13 katholische und 3 anabaptistische Druckwerke. In der späte­ren Periode hat sich das Bild wesentlich geändert: es gab 33 katholische, 22 kalvinische, 19 lutherische und ein einziges antitrinitarische. Der Vorstoß der Katholiken bedeutet in Pro­zenten ausgedrückt 43 statt 11, und der Rückfall der Antitrinitarier von 26 auf 1,3. Natürlich waren die Verhältnisse zwischen dem königlichen Ungarn, bzw. in Siebenbürgen anders, es würde jedoch viel zu weit führen, die sowieso nicht viel zu groBen Zahlen noch weiter zu teilen. Auch bei einigen literarischen Gattungen kann man bedeu tende Verschiebungen fest­stellen. Die Zahl der biblischen Verserzählungen ist auf ein Viertel geschrumpfen (von 39 auf 9), dagegen verstärkten sich die Trauerreden bedeutend (von 6 auf 25).

Wenn man die Wandlung der Gattungen von Druckwerken, die in Ungarn vor 1651 her­gestellt geworden sind, untersucht, so kann man sie von mehreren, literarischen, gesellschaft­lichen, sprachlichen, geographischen, wirtschaftlichen, konfessionellen usw. Gesichtspunkten auswerten. Davon werden nur einige in den folgenden kurz versucht.

Obwohl die Abgrenzung zwischen weltlichen und kirchlichen – wie gesagt – in vielen Fällen auch weiterhin unzeitgemäß wäre, kann man doch merken, daß das Druckwerk vom religiösen Überzeugungsmittel langsam auch in Ungarn zum Marktobjekt geworden ist. Diese Verlegung des Schwerpunktes ist schon im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts ein­deutig spürbar. Die Entwicklung war aber sehr langsam und uneinheitlich innerhalb des Lan­des, weil die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht selten voneinander ziemlich stark abweichend waren. Die Kosten der Publikationen – besonders bei umfangrei­cheren Bänden – wurden zumeist auch weiterhin von feudalen Mäzenen getragen, wie man das aus den Widmungen erfahren kann. Die Zahl und die Bedeutung des Bürgertums und sei­ner Kaufkraft war damals in Ungarn auch weiterhin sehr bescheiden. So war selbst der po­tentielle Leserkreis noch immer sehr eng.

Die Typographen stellten aber nicht nur Bücher auf Auftrag oder auf Bestellung her, son­dern auch immer mehr und mehr Produkte direkt der indirekt auf eigenen Gewinn, bzw. auf eigene Gefahr. Diese langsame Wandlung geschah damals sehr schleppend. Die nun er­wähnten Symptome waren nur die ersten Schritte in der von uns untersuchten Periode. We­gen der verspäteten Entwicklung in Ungarn dauerte diese Umstellung etwa 200 Jahre lang. Erst in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts kann man einen eindeutigen Überge­wicht des marktorientierten Systems den feudalen Verhältnissen gegenüber im Druckwesen feststellen.

Die ungarische Sprache ist – wie bekannt – von ihren Nachbarsprachen vollkommen iso­liert. Praktisch lebten alle Ungarn innerhalb des historischen Ungarns. Dagegen waren viele Völker in Ungarn angesiedelt, die in ihrer mittelbaren oder unmittelbaren Nachbarschaft sprachlich verwandte oder sogar identische Völker hatten. Über die geographische Isolation von Siebenbürgen in der Zeit der Türkenkriege haben wir schon gesprochen. Durch diese Umstände war die sprachliche Verteilung der Buchproduktion bestimmt. So kann man leicht erklären, warum die Deutschen und die Slowaken des königlichen Ungarns bis 1577 über­haupt keine Typographie benötigten. Aus Österreich, aus Böhmen und aus Schlesien konnte man nämlich deutsche und tschechische Bücher problemlos einführen. Bei den Rumänen sah es umgekehrt aus, was wir schon kurz erwähnt haben, für sie wurden die – vor allem liturgi­schen – Bücher in Siebenbürgen hergestellt.

Die Ungarn waren auf eine Autarkie auf dem Gebiet der gedruckten Bücher beinahe ge­zwungen. Die Hilfsrolle von Krakau und Wien wurde schon erwähnt. Aber die Herstellung des weitaus wichtigsten Buches der damaligen Zeit, die vollkommene Bibelübersetzung in ungarischer Sprache konnten die heimischen Offizinen nur selten meistern: die meisten Aus­gaben erschienen im deutschen Sprachgebiet. Bis tief in das 18. Jahrhundert wurden nur zwei vollständige Bibelausgaben in ungarischer Sprache in Ungarn selbst gedruckt: 1589/90 in Vizsoly und 1660/1 in Großwardein (Várad), bzw. in Klausenburg. Auch die Geschichte der zweitgenannten Ausgabe ist charakteristisch traurig für unsere Geschichte. Die Rohbogen der schon fast fertig ausgedruckten Bibel mußte man nach Klausenburg überführen und erst dort publizieren, weil der Originaldruckort Großwardein von den Türken belagert wurde. Ein wichtiger Punkt der Kapitulationsbedingungen war eben die Freigabe der gedruckten ungari­schen Bibel von den Türken.

Unter solchen Verhältnissen ist es zu verstehen, daß die Druckwerke die im 16. und 17. Jahrhundert in Ungarn hergestellt wurden, fast ausnahmslos zur Befriedigung örtlicher Be­dürfnisse dienten. Selbst die zeitgenössische Verbreitung dieser Publikationen war unter den schweren Verhältnissen beschränkt. Das ist aber eine wohl bekannte Erscheinung in ganz Eu­ropa: nur wenige Städte, bzw. Offizinen waren auch für Exportzwecke gerüstet, die mehrzahl der Druckwerke hatten einen ziemlich beschränkten Aktionsradius. Abgesehen von der Hon­terus-Druckerei war die Universitäts-Offizin der Jesuiten von Tyrnau die erste, wo etwa ab der Rückeroberung der Hauptstadt Ofen (Buda) von den Türken im Jahre 1686 sich eine ex­portfähige Buchproduktion der Jesuiten entfalten konnte.

Also zusammenfassend ein düsteres, aber für die Geschichte von Ungarn charakteristi­sches Bild.




TARTALOM KEZDÕLAP